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31 Beiträge Seite 1 von 2

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Danke für den Artikel, ich hatte schon gehofft/vermutet dass es analog zum Chicagoer Abkommen auch im medizinischen Bereich ein Regelwerk gibt das den Arzt von Haftung befreit (die vermutlich nur bei fahrlässigem oder gar vorsätzlichen Fehlverhalten schlagend würde).

Ergänzend noch eine "Feinheit":
Die Gesetzgebung ds Zulassungsstaates gilt dann, wenn sich das Flugzeug "im Flug" befindet:
Das ist definiert durch den Zeitraum zwischen Schliessen der letzten Passagiertür bis zum Öffnen der ersten Tür nach der Landung. Solange die Türen offen sind gelten die Gesetze des Staates in dem sich das Flugzeug befindet, hier hat der Commander auch zum Beispiel keine Möglichkeit, das Betreten durch Polizei zu verbieten während er nach Schließen der Türen sehr wohl die Polizeigewalt an Bord innehat und unter Umständen die Gesetze des Aufenthaltsstaates sowie des Zulassungsstaates parallel gelten können.
19. Januar 2014: Von Achim H. an Flieger Max L.oitfelder
Das mit dem Recht es Zulassungsstaates macht es sehr interessant. Der freiwillige deutsche Arzt an Bord der US-Maschine wird dann in den USA auf Schadensersatz verklagt, da er ohne Approbation handelte, sprich Körperverletzung beging. Er ist ja kein US-Arzt sondern kommt aus einem 3.-Welt-Land.

Ich denke da müssten alle Fluglinien wie die Lufthansa agieren. Da dieses Haftungsproblem bei Ärzten bekannt ist, könnte man die Fluglinie verklagen, wenn sie keine entsprechende Haftungsübernahme anbietet und somit zu verantworten hat, dass dem Patienten nicht geholfen wurde.
19. Januar 2014: Von Flieger Max L.oitfelder an Achim H.
In Deinem Beispiel hat der Arzt ja nicht "in den USA" gehandelt wenn es auf dem Flug dorthin war, es wäre dann also der Zulassungsstaat zuständig.
Aber ich hoffe doch, dass es sogar in Amerika juristisch so etwas wie einen Funken von Hausverstand gibt!?
19. Januar 2014: Von Wolff E. an Flieger Max L.oitfelder
Markus. In den USA wäre ich mir da nicht so sicher. Die verklagen alles und jeden wenn es wad zu holen gibt. Da dort die Anwälte oft auf Honorarbasis arbeiten.
20. Januar 2014: Von Lutz D. an Flieger Max L.oitfelder
Siehe Artikel von Christian...
20. Januar 2014: Von Flieger Max L.oitfelder an Lutz D.
Ich weiß, aber es wird womöglich trotzdem versucht werden, den Samaritian Act zu umgehen.
Beim Standseilbahn-Unglück von Kaprun waren ja auch große Anwaltskanzleien aus den USA wie Aasgeier vor Ort und versuchten irgendwie, für das Unglück in Österreich einen Grund zu finden, in den USA zu klagen.
20. Januar 2014: Von Dr. Thomas Kretzschmar an Achim H.
Die Hoffnung gibts es in Amerika nicht. Das ist ja wohl hinlänglich bekannt, was da ab geht. Da gibt es gute Hollywoodfilme drüber und genügend Email-Witze, die leider wahr sind...
20. Januar 2014: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an Wolff E. Bewertung: +6.00 [6]
Moin zusammen,

ich bin doch ein wenig erschrocken über die diffusen Ängste, die hier so verbreitet werden und die im ungünstigsten Falle dazu führen, dass einem Menschen ggf. lebensrettende Maßnahmen vorenhalten werden. Insbesondere die hier diskutierenden ärztlichen Kollegen möchte ich fragen, inwieweit ihre Kenntnisse belastbar sind oder sich aus "ich habe mal gehört" und "das weiß man doch" speisen.

Die ärztliche Berufsordnung verpflichtet in §1 Ärztinnen und Ärzte dazu, "das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten...", §2 regelt außerdem: "Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze an-erkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können."

Die früher vielleicht berechtigte Furcht vor Schadensersatzansprüchen in den USA hat seit dem "Aviation Medical Assistance Act" von 1998 offenbar keine Grundlage mehr: seit 1998 ist es zu keinen Klagen gegen einen hilfeleistenden Arzt auf Linienflügen gekommen (1). Bei den europäischen Fluglinien sieht die Situation sowieso anders aus.

Bei der auch oft zu Ängsten führenden Frage nach der Haftung im Falle einer Ausweichlandung gilt, dass diese nicht vom Arzt, sondern vom Kapitän verantwortet wird.

Ich hoffe sehr, dass die als Passagiere fliegenden Kollegen ihr ärztliches Ethos in der Praxis nicht durch Halbwissen und Vermutungen konterkarieren.

Was die Haftpflichtversicherungen angeht: auch hier scheint sich ein Halbwissen zu verbreiten. Es gibt durchaus Haftpflichtversicherungen für Ärzte, die auch grobe Fahrlässigkeit abdecken. Und natürlich kann man sich, sogar für kleines Geld, gegen Haftungsrisiken bei "gelegentlicher außerdienstlicher Tätigkeit" versichern, die also gerade die Erste-Hilfe-Fälle und ähnliches abdeckt. Eine Rechnungsstellung ist natürlich auch nicht Voraussetzung für eine Leistung der Haftpflichtversicherung.

Viele Grüße

Dr. med. J. Hinrichs

(1): Gendreau MA, De John C: Responding to medical events during commercial airline flights. N Engl J Med 2002; 346: 1067–1073. (Dr. Mark A. Gendreau, Department of Emergency Medicine, Lahey Clinic, 41 Mall Road,
Burlington, MA 01805, USA, mgndru@massmed.org)
20. Januar 2014: Von C*h*r*i*s*t*i*a*n S*u*e*r an Hofrat Jürgen Hinrichs Bewertung: +3.00 [3]
Danke, Jürgen, ich kann Dir absolut zustimmen.

RECHTLICH ist die Suppe ja nur halb so heiss wie sie gekocht wird, sogar unter amerikanischer Flagge - denn wie oben bereits erwähnt wurde, ist grobe(!) Fahrlässigkeit ohnehin nicht versicherbar, egal ob an Bord eines amerikanischen Flugzeugs oder im deutschen Arbeitsalltag. Das bedeutet ja, dass ärztliche Handlungen auch in Deutschland nur durchgeführt werden unter der Prämisse: ich bin nicht frei von Fehlern, weiß aber zumindest soweit, was ich tue, dass ich grobe(!) Fahrlässigkeit ausschließen kann. Von daher kann ich die rechtlichen Sorgen mancher Ärzte nicht so ganz verstehen. Wenn man mit einem gewissen Restrisiko nicht leben kann, sollte man sich überlegen, ob man überhaupt als Arzt arbeiten will.
Ich sehe ein, dass es einen etwas anderen Eindruck macht, ob man zur Nothilfe sogar verpflichtet ist oder ob man eben nur straffrei ausgeht, wenn man sich bei Nothilfe keiner groben Fahrlässigkeit schuldig macht. Angst vorm Ruin finde ich da dennoch völlig übertrieben, selbst wenn in anderen Bereichen das amerikanische Rechtssystem für abstruse Schadensersatzklagen berühmt ist.

ETHISCH geht es ja nicht um die Frage "was tue ich als Arzt?", sondern "was tue ich als Mensch?" (und zwar nach bestem Wissen). Denn die deutsche Approbation ist im USA-Flieger ohnehin nicht gültig.
Wenn sich jemand weigert, eine Platzwunde zu versorgen, nachdem jemandem ein Koffer auf den Kopf gefallen ist oder eine vergleichbare Situation, in der der "Hilfebedürftige" (ich sage jetzt mal bewusst nicht Patient) keinen ernstlichen Dauerschaden zu befürchten hat, dann kann ich das angesichts der Hysterie um das amerikanische Rechtssystem halbwegs verstehen. Doch wenn ein Passagier vor lauter Pulslosigkeit die Augen verdreht nicht zu reanimieren... das fände ich moralisch höchst bedenklich, ja falsch. Und ich finde, in einer solchen Situation gebietet es die Menschlichkeit, zuerst zu handeln und erst danach an Gesetze zu denken.
Solange die NSA kein Recht auf Privatsphäre kennt, Putin homophob ist, in manchen Ländern die Scharia gilt und China systematisch Menschenrechte ignoriert wird niemand bezweifeln, dass Gesetze nicht perfekt sind und dass es so etwas wie ein übergeordnetes, international gültiges ethisches Gemeingut gibt, an dem sich Gesetze messen müssen. Oder sei es nur der gute alte kategorische Imperativ...

Deshalb hoffe ich, dass es doch noch viele Ärzte, Passagiere, Stewardessen [...], MENSCHEN gibt, die in so einem Fall: "Tun, was richtig ist!"
20. Januar 2014: Von  an Hofrat Jürgen Hinrichs
Moin Herr Kollege.
Möchte gerne mal wissen, welche Versicherung das ist, die den Sachverhalt Grobe Fahrlässigkeit(§277 BGB) unter folgender Definition:

"Fahrlässig handelt:
  • sowohl derjenige, der den Schaden zwar voraussieht, aber hofft, er werde nicht eintreten (bewusste Fahrlässigkeit),
  • als auch der, der den Erfolg nicht voraussieht, ihn aber bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt hätte voraussehen müssen (unbewusste Fahrlässigkeit).

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn diese Sorgfaltspflicht in besonders grobem Maße missachtet worden ist."

versichert und zu welcher Prämie. Also, der reisende Kollege hat an Bord einen Schampus und zwei Carbernet inhaliert und ist jetzt "impaired", als er geweckt wird. So im Dienst, das wäre grob fahrlässig. Hier geht es dann bestenfalls im hypothetischen Rechtsstreit darum, daß die Versicherung gewinnt und Regress nehmen kann, oder nicht? PS

20. Januar 2014: Von Dr. Thomas Kretzschmar an 
Ist schon interessant.
Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt als gewissenloser Mensch von manchen etwas angemacht werde, was mich wenig stört.
Eigentlich wollte ich nur einen Denkanstoss geben. Aber ein kleiner Anstoß kann eine Lawine auslösen.
Fakt ist, dass echte Ärzte und Amerika-Kenner skeptisch sind.
"Normale" Menschen und Psychiater aber die humanitäre Pflicht des Arztes fordern.
Denen kann ja im Falle eines Falles auch nichts Schlechtes passieren. Dann kann ich auch locker empört sein.
Ob ich mich zum Helden eigne, weiß ich erst, wenn dieser Fall mal in einem amerikanischen Flugzeug passiert. Gott sei Dank war es bei meinen 3 Einsätzen zufällig immer ein LH-Flug. Einmal auf dem Flug nach Denver über Nordkanada. Patientin im Schockzustand nach Kreislaufzusammenbruch. Die Patientin auf dem Boden vor der Küche im Heck in Decken gelagert, 2 Infussionen mit Medikamenten gegeben. Ein Passagier hat als Infussionständer gedient. Man konnte sich wegen der Enge kaum bewegen, alles war nur mit krummen Rücken in Zwangshaltung zu erledigen. Ständig nörgelnde Passagiere, weil die nicht so ohne Weiteres zum Klo kamen. Und dann soll man noch Entscheidungshilfe geben, ob man in 1 Stunde in Winnipeg landen sollte oder bis Denver durchfliegen kann.
Wenn ich dann noch das Gefühl haben müsste, dass ich in Denver der amerikanischen Justizgewalt Rechenschaft abgeben müsste.
Aber soweit denken die meisten empörten Thread-Teilnehmer garnicht.
Für diesen Fall habe ich 10.000 Meilen als Dankeschön bekommen. (Wenn das nicht ein geldwerter Vorteil war, oder als Honorar angesehen würde?)
20. Januar 2014: Von Lutz D. an 

@ Peter

Hallo Peter, einerseits schreibt Jürgen, dass grobe Fahrlässigkeit NICHT versicherbar sei und andererseits handelst Du in dem von Dir geschilderten Falle nicht zwingend grob fahrlässig, weil Du den Eintritt des Notfalls nicht vorhersehen musstest und Duch auch sonst keinen Grund hattest, Dich NICHT zu betrinken.

20. Januar 2014: Von  an Dr. Thomas Kretzschmar
"...weiß ich erst, wenn dieser Fall mal in einem amerikanischen Flugzeug passiert"
Genau so ist es, alles andere ist graue Theorie zumindest für die Diskussionsteilnehmer, die nicht schon mal persönlich davon betroffen waren, gleich ob sie Arzt sind oder "nur" gerade ihren Erste-Hilfe-Kurs gemacht haben.
20. Januar 2014: Von Wolff E. an Dr. Thomas Kretzschmar
@T. Kretschmer. Bin zwar kein Arzt, sehe diese Problematik aber ähnlich. In der USA wird leider oft erst "geschossen" (heißt festgesetzt) und dann erst gefragt. Es geht da weniger um den gesunden Menschenverstand sondern eher um die dortige Zunft der Anwälte. Wenn Anwälte aus Radio/Fernsehn erfahren, es gab einen Unfall (Flugzeug/PKW oder sonst was) gehen diese oft an den Ort des Geschehens oder ins Krankenhaus und "stacheln" die Verletzten oder Angehörigen an, doch zu klagen. Auch wenn es unter dem Strich dann gut ausgehen kann, hat man erst mal deutlich Ärger und Palaver. Und ob man das will, muss jeder für sich selber entscheiden.

Dazu mal ein paar Fragen:

- Kann der Cpt einer Fluglinie überhaupt eine Haftungsabgrenzung aussprechen?
- Wer sichert mir zu, das ich nach der Landung nicht erst mal stundenland was rechtfertigen muss und nicht
weiter reisen kann?
- Solange alles gut geht, wird es wohl kaum Ärger geben. Wenn aber Probleme bei der Behandlung auftreten?
Was dann? Oder ein paar Tage säter geht es dem Patienten schlecher und der behandelnde Arzt will seine
"Haut" retten. Da ist man leider sehr schnell der Dumme.
- Und wenn man als Arzt dann doch noch Hilfe leistet sollte man den CPT bei der kleinsten Unregelmässigkeit
sehr
deutlich sagen, das man die Folgen nicht absehen kann und der Patient schnellstens einen Arzt mit
"Technik" braucht. Nicht, weil man "es nicht kann" sondern weil man da eher an seine eigene Haut denken
sollte.
- Ich weiß nicht, was Flugzeuge als MED-Kit an Board haben, aber es ist bestimmt nicht so viel, wie es in einer
Praxis wäre.

Ich erinnere nur an meinen Vertrag in den USA als ich meinen Flieger kaufte. Das waren drei Seiten lang nur Rechsbelehrungen und Ausschlüsse, Kostenandrohung, Haftungsandrohungen und was man im Fall eines Streitfalles an Anwaltskosten (Stundenbasis á 250 USD) zu zahlen hat. Der Flieger selber war nur mit ein paar Zeilen (S/B, Stunden, BJ und as it is) aufgeführt. Aus meiner Sicht etwas "krank". Da lob ich mir dann doch die deutsche Regelung, die vermutlich ähnlich in ganz Europa ist. Ich bin was die USA betrifft inzwischen grundsätzlich absolut vorsichtig und mir selber gegenüber restriktiv, da ich überhaupt nicht überblicken kann, was man alles falsch machen kann. Es würde mich nicht wundern, wenn ich als PAX eine B1900 lande, weil der/die Piloten ohnmächtig sind, erst mal nach der Landung viel erklären muss und eine Weile festhänge. Wenn dann noch bei der Landung der Flieger etwas zu Bruch geht und ein anderer deswegen verletzt wird? Nicht auszudenken. Wenn schon eine Frau wegen zu heißen Kaffee erfolgreich MCDonalds verklagt hat....

Ein Land, das die Freiheit so hoch hält, aber dank NSA nichts von Privatspähre hält und sich oft sehr wenig um Gesetze in anderen Ländern (z.B. Merkels Handy) kümmert, muss man einfach mit sehr viel Vorsicht begegnen.
20. Januar 2014: Von Lutz D. an Dr. Thomas Kretzschmar

Aber soweit denken die meisten empörten Thread-Teilnehmer garnicht.

Da wäre ich jetzt mal vorsichtig. Es könnte ja auch Thread-Teilnehmer geben, die sogar noch weiter denken oder für die in der Güterabwägung materielle Fragen von der nach ungestörter Urlaubsfortsetzung bis hin zur Vermögenssituation nur nachrangig betrachtet werden.

Ich schätze wirklich, dass Du uns einen ehrlichen Einblick in die Denke arrivierter Allgemeinmediziner auf Reisen gegeben hast, aber bitte verlange nicht von uns allen, dass wir das im Einzelnen für nachvollziehbar oder gar begrüßenswert halten.

Das bedeutet für meinen Teil überhaupt nicht, dass damit eine Wertung einhergeht. Wie Du richtig bemerkst, ist es wohl entscheidend, ob man in der Situation ist oder sein könnte, oder das aus dem Armsessel heraus kommentiert. Aber ich kann behaupten, dass ich mir eine Welt wünsche, in der Ärzte zu einer anderen Einschätzung gelangen.

N.B. Denke, die von Jürgen zitierte Quelle lässt ja nicht wirklich Fragen offen. Vielleicht ist die von Dir getroffene Güterabwägung ja damit von falschen Prämissen geleitet.

20. Januar 2014: Von Achim H. an Dr. Thomas Kretzschmar
Hat man in so einmal Fall nicht die Möglichkeit, per Satellitentelefon mit dem Bereitschaftsarzt der Fluglinie zu sprechen? Ich sehe in der Entscheidung "landen oder weiterfliegen" ein großes potentielles Haftungsproblem, da der Passagier-Arzt in diesem Fall ein persönliches Interesse hat, schnell ans Ziel zu kommen. Aus solchen Interessenskonflikten gestalten sich dann die bösen Gerichtsfälle. Wenn man einfach dem Airlinearzt per Telefon die Diagnose gibt und ihn entscheiden lässt, wäre man damit aus dem Schneider.

@Lutz: grob fahrlässig ist nicht, wenn ein Arzt sich betrinkt, sondern wenn er in betrunkenem Zustand praktiziert. Der betrunkene Arzt darf und muss die Hilfe verweigern, der nüchterne darf das evtl. nicht.
20. Januar 2014: Von  an Lutz D.
Hallo Lutz,
mal konkret und Allohol beiseite gelassen. Die Bordapotheke hat im Vergleich zu einem standardisierten Notfallwagen in einer Klinik verschwindende Möglichkeiten der medikamentösen Intervention. Man könnte denken, nun, nix brauchbares da, gibt man halt eine Ampulle von irgendetwas potentiell nicht schädlichem. Patient verschlechtert sich oder verstirbt dann. Dann wirds weniger lustig, weil man aus dem besagten Notfallwagen zuhaus schon evtl. das richtige gefunden und verabreicht hätte. Jetzt hätte man aber zu bestreiten, daß die Verschlechterung wohl von einer Ampulle Kortison oder sonstwas gekommen sein könnte, die in der Bordapotheke war. Immerhin hat man auch noch Körperverletzung begangen und das ohne US Board Exam an einem wertvollen US-Bürger.
Wieder alles Theorie, die uns nicht weiter bringt. Ich würde mich im konkreten Fall rückversichern, was getan werden darf, die Rechtslage an Bord wurde ja auch bereits kompetent zitiert.
20. Januar 2014: Von Lutz D. an Achim H.

@Lutz: grob fahrlässig ist nicht, wenn ein Arzt sich betrinkt, sondern wenn er in betrunkenem Zustand praktiziert.

Das trifft auf Fälle von Nothilfe schlicht so allgemein nicht zu. Das kannst Du Dir an folgendem Beispiel vergegenwärtigen. Ein fiktiver Dr. Hasenmeier und ich betrinken uns an meinem Pool. Lutz fällt ins Wasser und geht unter. Im Affekt zieht Doc Hasenmeier mich raus, stellt aber fest, dass ich nicht mehr atme. Meinst Du ernsthaft nun mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen, sei grob fahrlässig?

Anders ist natürlich, wenn drei nicht angetrunkene Leibärzte ebenfalls zugegen sind und Doc Hasenmeier sich aber vordrängelt. Oder Doc Hasenmeier erscheint betrunken zur Sprechstunde.

Im übrigen ist nach zwei Flaschen Cabernet insgesamt die Schuldfrage anders zu bewerten. Grobe Fahrlässigkeit Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit voraus. Das ist NACH dem Genuß besagter zweier Flaschen in Flugfläche 310 eventuell nicht gegeben.

20. Januar 2014: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an Dr. Thomas Kretzschmar Bewertung: +5.00 [5]

Hallo Herr Kollege,

zunächst einmal möchte ich mich für das Kompliment bedanken, dass Sie uns Psychiater den "normalen Menschen" und nicht den "echten Ärzten" zuordnen. Wenn "echter Arzt" zu sein bedeutet, nicht mehr Mensch zu sein, möchte ich kein echter Arzt sein. Aber vielleicht haben wir hier ja auch schon den Kern der Diskussion.

Im übrigen vertrete ich für die Medizin die Auffassung, dass Behauptungen überprüfbar sein sollten. Die hier aufgestellten Behauptungen von eintretenden Schreckensszenarien sind bislang nicht belegt. Nennen Sie mir bitte einen nach 1998 eingetretenen Fall eines Arztes, der wegen einer Hilfeleistung an Bord zu was auch immer verurteilt worden ist, der Ihre Befürchtungen rechtfertigt. Das aber bitte konkret beleg- oder falsifizierbar und nicht auf der Grundlage von "das weiß doch jeder".

Was die medizinische Ausstattung angeht: die ist mir bekannt. Ich habe entsprechende Fortbildungen, auch bei Lufthansa, besucht, war lange Zeit im Rettungsdienst tätig und habe mehre Jahre lang Krankentransporte auf Linienflügen bei verschiedenen Airlines begleitet. Man kann immer nur so gut helfen, wie es unter den konkreten Umständen möglich ist. Das gilt ja auch im Alltag, oder fahren Sie an einem Verkehrsunfall mit Verletzten vorbei, nur weil Sie gerade keine Vakuummatratze dabei haben?

Mit kollegialen Grüßen

J. Hinrichs

20. Januar 2014: Von C*h*r*i*s*t*i*a*n S*u*e*r an Dr. Thomas Kretzschmar Bewertung: +2.00 [2]
Fakt ist, dass echte Ärzte und Amerika-Kenner skeptisch sind.
"Normale" Menschen und Psychiater aber die humanitäre Pflicht des Arztes fordern.


Fakt ist, dass die Ärzteschaft eine heterogene Gruppe ist und auch Deine Meinung eine Einzelmeinung darstellt. Deshalb tue ich mich mit einem solchen Generalaufruf, sich im Notfall schlafen zu stellen, schwer und finde, wer sich einen derartigen Aufruf zutraut, sollte abweichende Meinungen aushalten können ohne sich "angemacht" zu fühlen.

Als Kliniker in der Inneren Medizin sehe ich mich ebenfalls als "echten Arzt" und appelliere durchaus an die humanitäre Pflicht des Arztes.

Natürlich ist es leicht, am Schreibtisch sitzend zu behaupten, was man tun würde! Ob man den Mut in der konkreten Situation dann auch hat (ich möchte mich ebenso wenig als Helden aufspielen) ändert aber nichts an der ethischen Wertigkeit. Du sprichst selbst die "anbehandelte Leiche" an - wir reden hier also über ernste Zwischenfälle in der Luft. Ich(!) könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, auf potentiell lebensrettende Maßnahmen zu verzichten und damit billigend hinzunehmen, dass bei einem Passagier für immer die Lichter ausgehen wenn ich eine Chance sehe, dies durch meine beruflichen Kenntnisse zu verhindern (dass die Arbeitsbedinungen in der Luft schlecht sind, ist auch klar; dass an Bord amerikanischer Maschinen (nicht Lufthansa) Standardmedikamente eines jeden Notfallkoffers wie Metoprolol, Midazolam, i.v. Prednisolon nicht in der Mindestausrüstung vorgeschrieben sind, ist in der Tat verbesserungswürdig - vielleicht gäb's allein dadurch weniger Fahrlässigkeit - das ist aber eine andere Diskussion...).

Die Frage, welcher Gedanke bzw. welche Konsequenz schwerer erträglich ist - also verzögerte Weiterreise/Urlaubsfortsetzung, Millionenklage, Gefängnis oder (mal etwas hart ausgedrückt) "eine Leiche im Keller zu haben" - wird jeder unterschiedlich für sich beantworten. Und da verstehe ich sehr gut, dass die individuelle Lebenssituation, also ob man verheiratet ist, Kinder hat, usw. und die bisherigen Lebenserfahrungen (sage ich mit dem Optimismus der späten Geburt) entscheidend dafür sind, welche Risiken man eingehen darf/kann. Und wer sich sorgt, dass die Kinder einen die nächsten 10 Jahre im Gefängnis aufsuchen müssen, der ist nicht zwangsläufig gewissenlos oder egoistisch, sondern betreibt ebenfalls eine Güterabwägung, die dann aber zugunsten der Kinder, Frau... ausfällt. Nochmal also: kein Grund, sich "angemacht" zu fühlen. Es ist sogar bewundernswert und mutig, öffentlich zu dieser Haltung zu stehen. Das respektiere ich. Aber mit dem Generalaufruf zur Passivität habe ich in der Tat ein Problem!

Gruß,
Christian.
Moin,

natürlich muss man immer, auch als Nicht-Arzt, zwischen Selbstschutz und Hilfe abwägen. Aber: es geht hier um eine vermutete Gefahr ohne Datenbasis. Und wenn ich aus einem unbestimmten Gefühl der Bedrohung, weil "mal jemand gesagt hat" oder "man ja weiß, wie das ist" eine Entscheidung zur Nicht-Hilfe treffe, dann ist das meiner Überzeugung nach zutiefst unethisch und auch unärztlich. Man hat die Pflicht, sich vorher fundiert zu informieren.

Grüße


J. Hinrichs
20. Januar 2014: Von Dr. Thomas Kretzschmar an Hofrat Jürgen Hinrichs
Hallo,

ich habe keinen generellen Aufruf getan. Ich hatte am Anfang nur mal einen Gedanken durchgespielt. Und habe bisher auch immer geholfen.
Aber interessant war das Lauffeuer hier schon. Und es haben sich eine Menge Leute doch Gedanken gemacht. Und das ist doch auch gut so ;-)
zum generellen Aufruf: Eine Empfehlung (!), den "Dr." auf dem Ticket wegzulassen, damit man nicht geweckt wird, richtete sich ja durchaus an andere (sich selbst muss man ja nichts empfehlen) und hat für mich keinen Charakter eines Gedankens, den man nur mit sich selbst durchspielt.

aber dass es gut ist, wenn wir uns hier zu dem Thema Gedanken machen: volle Zustimmung

Happy landings,
Christian
21. Januar 2014: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an 
Moin Herr Schneider,

Berufshaftpflichtversicherungen mit Einschluss der groben Fahrlässigkeit bietet z. B. die Deutsche Ärzteversicherung (www.aerzteversicherung.de) an. Einfach mal anrufen und fragen.

Um es etwas pointiert, dafür bitte ich im Voraus um Entschuldigung, auszudrücken:

Ich gehe davon aus, dass Sie und Herr Kretzschmar ihre medizinischen Entscheidungen aus einer sichereren Datenbasis heraus treffen und sich weniger auf "das weiß man doch" verlassen, als hier in der Diskussion angeführt.

An Herrn Kretzschmar noch die Frage: warum sollte ich als Psychiater haftungsrechtlich anders gestellt sein, als ein Allgemeinmediziner? In meiner Approbationsurkunde steht zwar nur "Arzt" und nicht "Echter Arzt", aber ich vermute, das ist bei Ihnen auch nicht anders.

Grundsätzlich ein Bewusstsein für mögliche Haftungsprobleme zu wecken, darin stimme ich Herrn Kretzschmar zu, ist aber sinnvoll und kann ja, wie 1998 in den USA geschehen, tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation führen. Insofern ist eine auch öffentliche und teils etwas pointiert geführte Diskussion hilfreich.

Viele Grüße

J. Hinrichs

21. Januar 2014: Von  an Hofrat Jürgen Hinrichs
Lieber Herr Hinrichs,
wie so vieles in diesem (und anderen) Forum/Foren ist das, was geschrieben wird punktuell, schweift häufig ab, ist alles andere als erschöpfend und bietet immer viele Haken und Ösen für Mißverständnisse oder "ja, aber..". Insofern bilde ich mir nicht ein, daß ich hier die Welt mit verbindlichen Weisheiten beglücken kann. Wir wissen ja, daß die Wirklichkeit ist oft anders ist. Aber danke für den Versicherungshinweis. Die grobe Fahrlässigkeit steht wohl im Kleingedruckten in der Police erwähnt?
Beste Grüße, PS

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