Der Unfall von Rainer Schaller, seiner Familie und des Schweizer Piloten Rolf L. geht einem nahe. Mit der Turboprop und der Familie in den Urlaub fliegen – gerne auch weitab von Europa – diese Situation kann ich mir gut aus eigener Erfahrung vorstellen. Ich vermute mal, vielen Lesern geht das ähnlich. Und dass man sich unter Piloten über Vermutungen zur Ursache austauscht, das ist ebenso unvermeidlich wie nachvollziehbar. Schließlich steht mit der allgegenwärtigen ADS-B-Flugspur eine Fülle an Daten sofort zur Verfügung, von denen Unfallermittler vor zehn Jahren nur träumen konnten.
Es ist nichts Verwerfliches daran, z.B. in Foren Vermutungen zu äußern oder die ADS-B-Daten mit erlebten Vorfällen und Manövern zu vergleichen. Wirklich sachkundige Personen erkennt man in diesen Diskussionen dann daran, dass sie ihre Hypothesen und Interpretationen äußerst vorsichtig und klar als solche gekennzeichnet vortragen.
Laien zeichnen sich in dieser Phase dadurch aus, dass sie sich immer weiter von den vorhandenen Daten entfernen und im Verlauf ihrer Sache immer sicherer werden.
Medienkritik
Peter Gatz, CEO der Private Wings, unterstellt den Verunglückten schon mal einen illegalen Grau-Charter. Bedauerlich ist, dass die beiden Journalisten hier in keinster Weise nachhaken. |
© n-tv |
Vielleicht liegt es daran, dass mir ein Teil der handelnden Personen bekannt war, vielleicht daran, dass die Art des Flugzeugs und der Zweck des Fluges durchaus Anknüpfungspunkte bieten. Aber was sog. Experten in den Medien zum Thema verzapft haben, das ist zu einem erheblichen Teil schlicht unerträglich. Ich meine damit nicht die reißerisch-dümmliche Clickbait nach dem Motto „Das sind die Reste der Todesmaschine“ oder gleich „Was passierte mit der Maschine von Fitness-Millionär Schaller“ (als ob das irgendjemand wüsste im Moment!).
Und dass man den Lesern vollkommen falsche Versprechungen in der Überschrift macht, ist bei den Qualitätsmedien ja inzwischen auch Usus. Wenn der Focus also titelt: „Warum der Flugzeugabsturz des McFit-Gründers so ungewöhnlich ist“, dann müsste das Magazin ja erst einmal die Ursache für den Unfall kennen. Damit wären die Zeitungsmacher den Ermittlern um Jahre voraus. Sicher weiß man hingegen in der Redaktion schon: „Kein technischer Fehler“. Na dann ist ja gut.
Bei der Mehrzahl der Artikel die in deutschen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen in den Tagen nach dem Unfall zu lesen waren, gruselt es einem bei jeder zweiten Zeile ob der logischen Sprünge, der unbekümmert als Fakt dargestellten Vermutungen, der unpräzisen Terminologie und der irreführenden Bilder. Vor allem, wenn man sich überlegt: Möglicherweise arbeiten die bei den Themen Steuern, Korruption, Wirtschaft, Corona und Krieg auch nicht anders!
Aber das ist normal. Vielleicht ist es bei den Artikeln zu solchen Flugunfällen besonders übel, weil es außer dem zurzeit unerklärlichen Verlust von Menschenleben einfach nichts zu berichten gibt. Sechs Menschen sind tot – und aktuell weiß niemand wieso. Tja – damit verkauft man halt keine Anzeigen bei Google!
Eher drollig bis hilflos sind da noch Zeitungen wie der Münchner Merkur. Der zitiert einen Luftfahrtexperten mit
„Ungewöhnlich sei auch die Flugroute. Ein südamerikanischer Luftfahrtexperte kann sich einen Zwischenstopp von 50 Minuten in Palenque Mexiko nicht erklären.“
Wer die Reichweite der Piaggio kennt, hätte eine mögliche Erklärung. Vielleicht war es der Reisegesellschaft wichtig, Sprit in den Tanks zu haben. Vielleicht. Immerhin sagt derselbe Experte dann noch im Focus: „Ich kenne niemanden, der diese Strecke ohne einen Co-Piloten fliegen würde.“
Gut. Vielleicht kennt er einfach nicht viele Leute. Immerhin ist dieser Experte vorsichtig genug, seinen Namen weder in der Primär- noch der Sekundärquelle angeben zu lassen. Da erzählt es sich natürlich leichter aus der Märchenstube. Dass eine deutsche Zeitung diesen Unfug veröffentlicht, ist weniger harmlos. Offensichtlich drucken Focus und Merkur so ziemlich alles ungeprüft, was jemand erzählt, der als Mindestqualifikation sein Telefon abnehmen kann.
Peter Gatz von der Private Wings unterstellt schon mal Illegalität
Deutsche Qualitäts-Experten, die mit Namen und Gesicht in Qualitätsmedien auftreten, sind aber auch nicht viel besser. Peter Gatz, immerhin Geschäftsführer der Private Wings Flugcharter GmbH aus Berlin, unterstellt den Opfern schon mal einen illegalen Flugbetrieb. Im TV-Interview mit der Welt holt er zum Rundumschlag aus:
„[...] Das Flugzeug gehört nach den bisher vorliegenden Informationen nicht dem Herrn Schaller, sondern einem ehemaligen Berliner, der in die Schweiz ausgesiedelt ist. Auch dessen Pilot ist geflogen, 66-jährig alleine im Cockpit, da bekommt das Ganze ein Geschmäckle und geht so in die Richtung des illegalen Vercharterns, wo Privatmaschinen, die nicht unter Aufsicht stehen, eben privat weitervermietet werden.“
Das muss man erst mal verdauen. Enttäuschend ist die Reaktion der Journalistin, die das Interview führte.
Mit ein bisschen Erfahrung müsste sie wissen, dass sie zur Unfallursache genau nichts außer Blabla aus diesem oder einem anderen Experten herausbekommen wird. Stattdessen präsentiert ihr „Experte“ jetzt live und in Farbe eine Anschuldigung, dass der Flugbetrieb des Prominenten Herrn Schaller illegal gewesen sein soll. Und was macht die Journalistin? Statt das jetzt zu vertiefen und beim Studiogast nachzuhaken nach dem Motto „Das sind ja schwerwiegende Anschuldigungen, die Sie hier vortragen – welche Belege gibt es denn, dass dies im konkreten Fall gegeben war?“, fährt sie stur ihre Linie weiter und fragt:
„Aber was könnte hinter dem Absturz stecken? Was könnte die Ursache sein?“
Gatz rattert dann die üblichen Ursachen ab, das gelingt ihm sogar weitgehend unfallfrei, dann aber kann er es nicht lassen, doch wieder auf dem Flugbetrieb rumzuhacken: Er sagt:
„Es ist eben komisch, das Flugzeug stand ja auch, bevor es zu diesem Trip aufbrach, schon drei Monate in Amerika am Boden. Das heißt, hier ist auch die Frage: Wurde da an einem deutschen Flugzeug in Amerika die Wartung ordnungsgemäß durchgeführt? Das sind alles Dinge, die sich für einen normalen seriösen Flugbetrieb zumindest erstmal schwierig darstellen.“
Auch damit kommt Gatz ohne Nachhaken der beiden Journalisten davon. Den restlichen Inhalt des Gesprächs, in dem Gatz das Design der P180 als „abnorm“ und die Propeller als „verkehrt herum“ bezeichnet und als Fun-Fact noch nachschiebt, dass der Hersteller mal insolvent war (welcher Flugzeughersteller war das nicht, insbesondere in der Flotte der Private Wings!), wollen wir dem Leser hier ersparen.
Was Gatz noch an interessanten Aspekten anspricht (Unterschied gewerblich/privat) geht völlig über die Köpfe der beiden Journalisten hinweg, die sich offenbar nur minimal auf das Gespräch vorbereitet haben. Schade. Das Ganze ist auf dem Niveau eines schnell produzierten Podcasts. Man lässt den Gast einfach mal reden. Das kann gutgehen – muss aber nicht!
Wir haben bei Private Wings und Herrn Gatz nachgehakt. Uns gegenüber wollte sich das Unternehmen allerdings bis Redaktionsschluss nicht zu den Anschuldigungen seines Geschäftsführers äußern. Um es klar zu sagen: Gatz unterstellt den am Flugbetrieb Beteiligten, dass sie gemäß Definitionen aus EU 2019/1394:
- ohne AOC,
- gegen Entgelt,
- Lufttransportdienstleitungen erbracht haben in einer Organisation, über die der Kunde
- keinen unternehmerischen Einfluss ausübte.
Das ist schon ziemlich steil. Das Einzige, was davon auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist, dass der Flug ohne AOC stattfand. Das ergibt sich aus dem Alter des Piloten. Alles andere ist pure Spekulation oder auch üble Nachrede, die m.E. nicht einmal naheliegend ist, denn wenn jemand sein Unternehmenskürzel (RSG Group GmbH) als Wunschkennzeichen auf den Rumpf lackieren lässt, wird er das ohne „Kontrolle über den Betreiber“ kaum hinkriegen. Auch wenn ihm das Flugzeug selber nicht gehört.
Für die Frage, die Herrn Gatz hier so umtreibt, ist es vollkommen irrelevant, wem das Flugzeug gehört. Die allermeisten Flugzeuge dieser Kategorie gehören nicht dem Betreiber. Sie gehören einer Betreibergesellschaft, einem Leasinggeber oder gleich der Bank.
Ich kann ja verstehen, dass illegaler Charter für Herrn Gatz und die Private Wings ein Ärgernis darstellen. Aber den Toten gleich mal Illegalität zu unterstellen, ohne irgendwelche Belege dafür vorzulegen, ist meiner Ansicht nach im höchsten Maße unprofessionell.
Single Pilot Operation: Man kann unterschiedlicher Ansicht sein
Schade, der Artikel ist eigentlich ganz brauchbar, das Bild aber grundfalsch und übelste Clickbait. |
© focus |
Ziemlich drastisch äußert sich auch der Hamburger Rechtsanwalt Stefan Hinners, bislang in seiner Arbeit als Anwalt und in der Fliegerei als sehr kompetent bekannt. Der sagt dem Focus:
„‚In Europa würde ein solches Flugzeug zu 90 Prozent von zwei Piloten geflogen werden‘, so Hinners. Dass hier nur ein Pilot an Bord war, sei ihm zufolge ein Hinweis dafür, dass nicht viel auf sicherheitsrelevante Vorkehrungen Wert gelegt wurde.“
Da bin ich ganz anderer Ansicht. Natürlich sind zwei Piloten i.d.R. sicherer als einer. Aber selbst die ultra-strengen Vorschriften zum gewerblichen Luftverkehr in Europa (die hier natürlich nicht galten) erlauben für dieses Flugzeug den kommerziellen Personentransport (CAT) mit einem Piloten!
Nicht, dass dieser Flug irgendetwas mit CAT zu tun gehabt hätte. Der Verweis soll nur mal zeigen, dass der Gesetzgeber auf einem viel höheren Sicherheitslevel auch noch mit einem Piloten zufrieden gewesen wäre.
Aus der Entscheidung, mit der P180 Single-Pilot zu fliegen, dann mangelnden Wert auf „sicherheitsrelevante Vorkehrungen“ abzuleiten, ist m.E. übertrieben. Nun gut, man kann unterschiedlicher Ansicht sein. Im Telefonat mit Pilot und Flugzeug relativiert Hinners seine Aussage denn auch ein Stück weit. „Flüge mit Gästen würden im Normalfall mit zwei Personen durchgeführt.“
Weniger ist mehr
Es gibt aber auch sachliche Stimmen und besonnene Erklärungen. Ein Focus-Artikel, der zusammen mit aeroTelegraph geschrieben wurde, gibt unter der Überschrift „Warum Privatjets gefährlicher als Linienflieger sind“ die Randbedingungen eigentlich recht zutreffend wieder. Auch wenn das „Symbolbild“ (Abb. 2), in dem eine 737 als „Kleinmaschine“ verkauft wird, pure Clickbait ist und nichts mit der Fragestellung zu tun hat.
Andreas Spaeth gibt dem MDR zu Protokoll:
„Im Moment haben wir eigentlich gar keine Anhaltspunkte. Es ist theoretisch alles möglich. Es ist sehr schwer, zu erkennen, was hier passiert sein soll. Vor allem, da der Flugverlauf samt Flughöhe, Kurs und Geschwindigkeit völlig normal verlief.“
Besser kann man‘s eigentlich nicht sagen. So verkauft man allerdings keine Klicks, und so wird Spaeth dann doch noch mit Spekulation zitiert:
„Tatsache ist jedoch: Der Pilot war allein im Cockpit, es war eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang, es war also bereits dunkel: Die Frage ist: Wie gut war die Orientierung über dem Meer?“
Weniger wäre hier deutlich mehr gewesen.
Fazit
Worum es bei dem Welt-Interview wirklich ging, wird ganz am Ende klar. Da sagt die Journalistin in der Abmoderation:
„... ja und wir sind natürlich gespannt, ob wir heute im Laufe des Tages dann auch weitere Erkenntnisse zu diesem Absturz erhalten ...“
Okay. Es geht um dranbleiben, weiterschauen, Werbung konsumieren ... – stay tuned! Alles klar.
Und Herrn Gatz ging es augenscheinlich um den Hinweis auf ein ärgerliches Problem in seiner Branche – den Graucharter. Ganz egal, ob die verunglückten Menschen etwas damit zu tun hatten oder nicht. Um die sachliche Information des Zuschauers oder Lesers ging es jedenfalls zu keinem Zeitpunkt – wie auch, wenn man außer den traurigen ersten Fakten wirklich gar nichts in der Hand hat.
Aufruf an die echten Experten
Meine dringende Bitte an die echten Experten der Branche: Bleiben Sie in Ihren Äußerungen bei der Sache. Auch wenn das Interview dann nur wenige Zeilen umfasst und die nette Journalistin Sie nicht mehr anruft oder Sie nicht mehr ins Studio eingeladen werden. Mehr oder weniger offen geäußerte Erwartungshaltungen muss man in diesem Fall enttäuschen.
Ich kenne diese Anrufe. Journalisten können hartnäckig sein. Müssen Sie auch. Das weiß ich selber. Da wird dann manchmal ganz dick aufgetragen, nach dem Motto: „Also bei diesem Absturz merkt man ja eine regelrechte Mauer des Schweigens. Sie können da doch sicher etwas Licht ins Dunkel bringen.“
Nein! Kann ich nicht. Und Schweigen kann immer zwei Gründe haben. Weil man etwas nicht sagen möchte oder weil man nichts zu sagen hat!
Und wenn man sich doch äußert, muss man klar differenzieren, ob man sich auf den konkreten Unfall oder die allgemeinen Gegebenheiten dieser Betriebsart bezieht.
Konkret zum Unfall kann man aktuell nur sagen:
- Der Flugweg sieht bis zum Unglück völlig normal aus.
- Es gibt zurzeit keinen Hinweis auf technische Defekte.
- Alle weiteren Vermutungen und Beobachtungen, die wir im Moment haben, werden sich im Laufe der jahrelangen Untersuchung vermutlich maßgeblich ändern oder als falsch bzw. unvollständig herausstellen.
Und zur Betriebsart kann man sagen:
- Eine P180 ist für das gegebene Profil der Reise bestens geeignet.
- Für das Flugzeug gibt es kein auffälliges Unfallgeschehen.
- Diese Maschine mit einem Piloten zu fliegen wird prinzipiell selbst vom EU-Gesetzgeber unter den höchstmöglichen Standards als ausreichend sicher eingestuft.
- Gewerblicher Personentransport und private Flüge arbeiten nach unterschiedlichen Mindeststandards. Sonst wären private Flüge größtenteils unmöglich. Das bedeutet jedoch nicht, dass private Flüge unsicher sind oder alles so machen müssten wie im gewerblichen Luftverkehr.
- Der überwiegende Teil des Luftverkehrs außerhalb der Airlines besteht aus privaten nichtgewerblichen Flügen.
Von Allgemeinplätzen aus dem aviatischen Bullshit-Bingo-Generator wie „Der Pilot war immer vorsichtig“, „Das Flugzeug gilt als sehr sicher“, „Die Besatzung war überaus erfahren“, „An dem Flugplatz gab es schon häufiger Unfälle“ oder „Die Maschine war in einem guten/schlechten Wartungszustand“ sollte man sich tunlichst fernhalten.
Sie müssen das auch nicht sagen – es findet sich bestimmt ein anderer, der diesen Blödsinn in die Kamera brabbelt.