Die wesentlichen Neuerungen sind:
1. Drastisch vereinfachte Theorie, die fast vollständig zuhause im Fernkurs erarbeitet werden kann.
2. Der Großteil der praktischen Ausbildung kann auf dem eigenen Flugzeug mit IR-Lehrer außerhalb der ATO absolviert werden.
3. Simple Umschreibung eines ICAO (z.B. FAA) IR in ein europäisches IR. 50 Stunden IFR-Flugerfahrung sowie ein Checkflug mit mündlicher Prüfung genügen.
4. Ein Enroute IR als Vorstufe zum vollen IR mit deutlich verkürzter praktischer Ausbildung.
Die EASA hat damit nicht nur die unerträgliche Borniertheit beendet, die IFR-Piloten aus anderen Ländern keine praktikable Möglichkeit der IR-Umschreibung eröffnete, sie hat auch die europäische IR-Ausbildung von einer Art ATPL-Vordiplom wieder auf das international übliche Maß zurückgeführt und das Training durch die Nutzung des eigenen Flugzeugs deutlich verbilligt.
Darüber hinaus geht die EASA aber mit dem zusätzlichen Enroute IFR (EIR) einen gänzlich neuen, mutigen und vielversprechenden Weg, auf dessen Auswirkungen in der Praxis wir sehr gespannt sind. Mit der Möglichkeit des Enroute IFR ist die Europäische IFR-Ausbildung der von uns hoch geschätzten US-Ausbildung nicht nur ebenbürtig, sondern sogar noch etwas überlegen.
Erfolg hat viele Väter und das ist auch in diesem Fall so. Drei maßgebliche Urheber des neuen IR wollen wir jedoch besonders hervorheben:
1. Das Team der Rule-Making-Task FCL.008 rund um Raimund Neuhold und Matthias Borgmeier, die mit viel Praxiskenntnis, politischem Geschick und Ausdauer dieses Projekt bei der EASA realisiert haben. Dabei haben sie nicht nur das gesteckte Ziel erreicht, sondern über das Vehikel des “Competency Based IR” auch einen Weg gefunden diese für die EASA geradezu monumentalen Veränderungen sinnvoll und glatt in das bestehende FCL-Regelwerk einzugliedern.
2. Die Deutsche und Europäische AOPA die die EASA maßgeblich angetrieben und beraten hat.
3. Die Französiche Zivilluftfahrtbehörde DGAC. Deren gnadenloser Alleingang beim vereinfachten nationalen IFR war ein unverzichtbarer Stachel im Fleisch der Kommission, der die Realisierung des neuen EASA IRs auch auf politischer Ebene ermöglicht hat.
Wir werden in der kommenden Ausgabe von Pilot und Flugzeug ausführlich über die Änderungen und Möglichkeiten die sich aus der
Regulation 245/2014 ergeben berichten. Eine Menge Fragen gilt es noch zu klären. Flugschulen müssen Kurse entwickeln, Verfahren für freischaffende IR-Lehrer festgelegt werden.
Bis dahin wollen wir Ihnen mit folgendem Trainings-Szenario einfach Lust machen das Vorhaben ins Auge zu fassen.
Das neue IFR: So könnte es ablaufen

Punktlandung. Das neue europäische IR räumt mit vielen Problemen der alten IFR-Ausbildung auf. |
Es ist Donnerstag-Nachmittag. Ein eher stressiger Tag. Ihr Fluglehrer, bei dem Sie vor zwei Jahren den PPL gemacht haben, ruft Sie in der Firma an. Heute wäre ein toller Tag, mal den IFR-Schnupperflug zu machen, den er Ihnen versprochen hat, als Sie ihn am letzten Sonntag auf dem Flugplatz gesehen haben.
Ein halbes Jahr nach Ihrem PPL hatten sie sich ja die schön gepflegte Cessna 172RG gekauft. Die steht jetzt in der Halle Ihrer alten Flugschule. Da sehen Sie Ihren Fluglehrer häufiger. Letztes Wochenende sind Sie allerdings nicht geflogen. Overcast in 1.000 ft und 5 km Sicht. Das war Ihnen zu heiß. Sie haben den Flieger stattdessen sauber gemacht und Fritz, Ihrem Lehrer, dabei ein bisschen vorgejammert, dass Sie ja gerne den versprochenen Ausflug mit Ihren beiden Kindern nach Zell am See gemacht hätten. Dort unten herrschte nämlich strahlendes Frühlingswetter!
Er hatte Ihnen versprochen, Sie bei nächster Gelegenheit zu einem IFR-Schnupperflug mitzunehmen: „Eigentlich kein Schnupperflug“, hatte er gesagt, „sondern Deine erste Stunde richtige Schulung. Die zählt dann schon auf‘s IFR.“
Das Instrument-Rating war bislang für Sie unerreichbar. 40 Stunden Flugausbildung an einer ATO wären eigentlich schon zu teuer. Vor allem, nachdem Sie die neue Hydraulikpumpe für die geliebte 172RG kaufen mussten und Ihr Schätzchen dann noch nicht einmal für die Schulung einsetzen können, da der Propeller ein Jahr über dem Kalender-Limit ist.
Und nachdem Sie die zweite Filiale in der Stadt eröffnet haben, ist die Vorstellung, abendelang im Theorieunterricht zu sitzen, einfach nur noch illusorisch. Nein, das IFR ist was für Freaks. Sie fliegen zwar leidenschaftlich gerne, schon als Kind haben Sie davon geträumt, aber Sie haben auch noch ein Leben, eine Familie und eine junge Firma. Und das hat alles Priorität.
„Ist nicht mehr so wild“, meinte Fritz. „Die Theorie kannst Du in Ruhe zuhause machen und den Löwenanteil der Schulung auf Deinem Flieger. Deine RG muss nur noch IFR zugelassen werden.“ Er schaut ins Cockpit: „Ein IFR-GPS hast Du ja schon, eigentlich brauchst Du nur noch ein DME und ein 8,33 kHz Funkgerät. Dann ist die Dame IFR. Lass uns doch einfach anfangen. Nächste Woche auf unserer DA40.“ Sie winden sich: „Ich kann mich jetzt nicht schon wieder zu einer langen Ausbildung anmelden“, erklären Sie, „Meike würde mich killen!“ „Brauchst Du nicht“, sagt Fritz. „Wir können einfach mal anfangen. Und wenn‘s Dir gefällt, machst Du weiter. Dann zählt unser Flug aber schon.“
„Okay“, antworten Sie, „ruf mich an, wenn Du die Woche Zeit hast.“
Und genau das hat Fritz jetzt getan: „Jetzt fliegen?“, fragen Sie, „es regnet in Strömen!“ „Ja klar“, meint Fritz. „Seit wir geschult haben, bist Du doch eh‘ nicht mehr in IMC geflogen. Wäre doch eine Super-Übung, selbst wenn‘s mit dem IFR nichts wird.“
Sie fahren zum Flugplatz. Die DA40 mit dem schicken G1000, die Sie aus Ihrer Ausbildung noch kennen, steht bereit. Fritz brieft Sie: „Wir starten auf der 08, machen dann gleich unseren IFR-Pickup und wenn wir schön in der Suppe sind etwas Airwork. Ich übernehme heute den Funk und die Navigationselektronik. Ich will einfach, dass Du das Flugzeug fliegst. So wie bei den IMC-Übungen zum PPL.“
Und so passiert‘s. Nur wenige Minuten nach dem Start sind Sie in der tiefsten Suppe. Es regnet immer noch leicht. Fritz lässt Sie zunächst einfach mal geradeaus fliegen und gibt Ihnen je nach ATC-Freigabe (von der Sie kaum etwas mitkriegen, so sehr müssen Sie sich auf das reine Fliegen im IMC konzentrieren) verschiedene Höhen und Headings vor. Erst 3.000, dann 5.000 ft. Nach ein paar Minuten lässt er Sie Standard-Turns fliegen. Sie haben die IMC-Übungen beim PPL eigentlich immer gut und gern gemacht. Jetzt allerdings merken Sie, dass das eben schon zwei Jahre her ist. Geez! Zweimal muss Fritz Pitch und Bank korrigieren. Sie müssen nur einen Kreis fliegen, haben aber 110% Workload. Es folgen ein paar Power-Changes. Sie müssen das Flugzeug in IMC mal auf 90 und dann auf 110 Knoten bringen und möglichst Speed halten im Levelflug. Gar nicht so einfach!
„So, jetzt mach mal den Autopiloten rein“, kommt schließlich die erlösende Anweisung vom rechten Sitz. „Es wird Zeit, dass wir den Approach vorbereiten.“
Der GFC700 übernimmt seidenweich die Diamond und Sie können zum ersten Mal aufatmen. Fritz erklärt Ihnen die wichtigsten Parameter des Anflugs. „Wir fliegen manuell, aber mit Flight Director. Wir machen ein ILS, ab hier beginnt unser Sinkflug mit ungefähr 500 fpm. Ich setzte Dir den Flight Director auf, Du fliegst einfach nur. Wir planen für einen Go-Around. Wenn der Flieger im Climb stabilisiert und aufgeräumt ist – ich helfe Dir dabei – kannst Du wieder mit Autopilot weiterfliegen.“
„Na gut“, denken Sie sich, „er ist ja dabei und will das bestimmt auch überleben!“
Während Sie noch gemeinsam den Approach ins G1000 laden, erklärt Fritz Ihnen nochmal, wie Sie im manuellen Flug am besten das Cockpit scannen. „Du musst Dich dazu zwingen. Einen Punkt nach dem anderen anschauen und wahrnehmen. Erst dann eine Steuereingabe machen. Ich gehe immer vom Speed-Tape über die Attitude zum Höhen-Band. Dann runter auf das HSI. Jedes dritte Mal oder so schaue ich noch auf die Triebwerksinstrumente und das MFD.“
Die Flight-Director-Bars zeigen den einlaufenden Glideslope ein. Jetzt fliegen Sie manuell. Immer wenn Sie versuchen, sich zu dem beschriebenen Scan im Cockpit zu zwingen, wird der Flug ruhiger und der Stress geringer. Scheint was dran zu sein, an dem, was Fritz gerade erklärt hat. Sie konfigurieren die Klappen nach Anweisung von Fritz und setzen die Power für 500 fpm Sinkflug und 90 Knoten. Die Zeit muss rasend schnell laufen unter IFR, denn kaum sind Sie halbwegs stabil auf dem Glideslope, hören Sie von rechts: „1.000 ft to go.“ Und wenn Sie glauben, jetzt schon viel zu tun zu haben, wissen Sie: In zwei Minuten wird‘s hier richtig geschäftig!
Der Regen prasselt auf die Scheiben. Dass man bei so einem Wetter überhaupt fliegen kann mit der DA40? „500 to go“, „minimums go-around!“ kommt von rechts. Sie schieben den Power-Hebel nach vorne und pitchen irgendwie nach oben. „Mehr pitch-up“, meckert Fritz. „Flieg‘ dem Flight-Director hinterher.“ Der zeigt schon weit in den Himmel, und Sie beginnen jetzt endlich auch zu trimmen. Im Augenwinkel sehen Sie die Befeuerung der Landebahn unter sich durchrauschen. Verdammt nahe!!!
Nachdem das Flugzeug aufgeräumt und der Steigflug stabilisiert ist, darf endlich wieder der Autopilot. Fritz gibt Ihnen noch ein paar Höhen und Headings vor, aber das macht jetzt die Automation. Zur Belohnung geht‘s für den Rückflug rauf auf FL080. Kurz vor FL070 kommen Sie aus der Bewölkung heraus und sehen die letzten Strahlen der Abendsonne in einem traumhaften Sonnenuntergang hinter der dichten Bewölkung. „Wie geil ist das denn“, denken Sie sich, „und das mit einer DA40 und mit mir am Steuer!“
Dann geht‘s schon wieder runter in die Suppe. Zum Glück ist an Ihrer Homebase das Wetter besser und nach ein paar Klein-Klein-Sinkflugfreigaben durch ATC erkennen Sie in 1.400 ft über der Platzhöhe die Autobahn, die am Flughafen vorbeiführt. „Cancelling IFR bis morgen“, verabschiedet sich Fritz routiniert am Funk und Sie beenden den Flug mit einer normalen Platzrunde im letzten trüben Tageslicht.
Als Sie die DA40 in der Halle haben, ist es schon dunkel. Was für ein Flug. Bei dem Wetter! „Bist Du alles selber geflogen“, sagt Fritz und grinst. „Ich hab nur gequatscht und ein paar Knöpfchen gedrückt!“
„Danke, das war super. Total klasse“, verabschieden Sie sich von Fritz. Dieser sagt gar nicht viel und lässt den Flug erst mal auf Sie wirken. Auf der Heimfahrt sind Sie nur halb im Auto. Der Rest von Ihnen fliegt noch. Das war ja so lässig. Nie wären Sie bei dem Wetter in ein Flugzeug gestiegen. Und das war ja nur eine ganz normale Übungsrunde, bei der Fritz‘ Puls augenscheinlich nie über 60 gekommen ist. Der war noch nicht mal angespannt (was man von Ihnen nicht gerade sagen kann). Und dann der Funk! Total professionell. Wie beim Airliner! Sie haben zwar nur ein Drittel verstanden, aber schon der routinierte Ton und die Disziplin auf der Frequenz war was ganz anderes als bei FIS. Dann schwupp aus den Wolken raus und die Lampen zum Greifen nahe und gleich wieder zurück in die Suppe. So als ob‘s das Normalste von der Welt wäre. Und zur Belohnung Abendsonne. Exklusiv. Nur für Sie. Und so was kann man lernen? Einfach so?
Am darauffolgenden Samstag passen Sie Fritz in der Flugplatzkneipe ab. „Also wie geht das mit diesem neuen IFR?“
Zum Glück ist die Schule, wo Fritz arbeitet auf Ballhöhe. Als eine der ersten Flugschulen in Deutschland haben sie die Genehmigung, die zehn Stunden, die man an einer ATO fliegen muss, auszubilden. Und einen wirklich guten Fernkurs, um die Theorie zuhause zu lernen, bieten sie auch an.
„Zehn Stunden musst Du unter der ATO – Flugschule – in einem unserer Flieger fliegen“, erklärt Fritz. „Den Rest dann auf Deiner RG. Das wäre am sinnvollsten. Ich würde vorschlagen, wir fliegen zuerst die zehn Stunden in der DA40. Du brauchst eh‘ noch ein paar Wochen, bis Avionik Dir das DME und das neue COM einbauen kann. Im Moment wissen die in der Werft gar nicht, wo ihnen der Kopf steht, weil jeder, wirklich jeder, seinen Flieger IFR machen will.“
„Und mit zehn Stunden DA40 isses wirklich getan?“, fragen Sie. Sie haben Angst, jetzt nochmal 3.000 Euro in Ihre RG zu stecken und dann auch noch zig Stunden auf dem teuren Charter-Flieger zuzukaufen. Schließlich kostet die DA40 über 200 Euro pro Stunde. „Ja, mehr als zehn Stunden kriegst Du auf der DA40 eh nicht, und wenn Du auf Knien bettelst. Wir haben so viele neue IFR-Schüler, wir könnten drei von den Diamonds gebrauchen.“
Schon drei Wochen später haben Sie die zehn Stunden auf der DA40 voll. Bis Ihre 172RG in der Werft drankommt, dauert es noch etwas länger und so nutzen Sie die Zeit für Theorie. Die entschlackte Theorie, über die alle jetzt so jubeln, ist trotzdem nicht ohne. Sie haben eine Menge Fragen. Zweimal setzen Sie sich in der Schule für ein paar Stunden mit Fritz zusammen, um die harten Nüsse zu knacken. Das deckt auch die erforderlichen acht Stunden Nahunterricht ab. Dann kommt die RG endlich aus der Werft. „Mach erst die Theorieprüfung“, sagt Fritz. „Damit Du dann den Kopf frei hast. Oder mach wenigstens erst den Kurs fertig, bevor wir mit der RG anfangen.“ Zähneknirschend drücken Sie die letzten paar Kapitel durch. Zeitaufwändig ist das schon. Oh Gott, wie schlimm muss dann erst das alte IFR gewesen sein?
Nachdem Sie die letzte Lernzielkontrolle bestanden haben, erfahren sie: Acht Wochen Wartezeit bis zur Prüfung! Die neuen IFR-Kandidaten rennen dem LBA schlichtweg die Türen ein. „Let‘s go flying“, muntert Fritz Sie auf.
Die ersten paar Flüge auf Ihrer geliebten RG kommen Ihnen fast wie ein Rückschritt vor. Zwar beherrschen Sie den Flieger besser als die DA40, aber der Umgang mit dem alten mechanischen HSI ist vom G1000 aus gesehen ein harter Downgrade. Jetzt wissen Sie auch, was Fritz meinte mit: „Den Kopf frei haben.“ Auch die Anforderungen werden nämlich stetig höher. Immer wenn Sie den Eindruck haben, etwas halbwegs gut zu beherrschen, kommt was Neues hinzu. Sie haben jetzt 20 Stunden. Und obwohl jeder Flug Sie an Ihre Grenzen bringt, erkennen Sie allmählich, dass Sie nicht nur fliegen, sondern auch managen. Sie funken jetzt (meistens!), setzen den Großteil der Avionik auf und schaffen es sogar, manchmal ein paar Worte des Approach-Briefings zu stammeln.
Dann kommt die Phase, in der der Fortschritt langsamer wird. Manchmal machen Sie sogar einen Schritt zurück. Fritz erkennt das. Was Sie am meisten ärgert ist, wenn er Sie lobt, obwohl Sie meinen, ein Tritt wäre das korrekte Statement zu Ihrer Leistung gewesen.
„Zeit, Überland zu fliegen“, erklärt Fritz. Bislang sind Sie IFR eigentlich nicht über die drei vier Plätze in Ihrer Umgebung hinausgekommen. „Wir fliegen an die Cote d‘Azur. Willst Du Deine Frau mitnehmen?“ Für die Kids wäre ja leider kein Platz, aber die können auch mal eine Nacht bei den Großeltern bleiben. Meike ist begeistert, Sie können jedoch noch nicht so wirklich glauben, dass man mit der ollen 172RG planbar so weit fliegen kann. Am Vorabend erörtern Sie mit Fritz das Wetter. Er erklärt Ihnen geduldig, wo es eventuell Eis geben könnte und welche Optionen Sie dann haben. „Es kann durchaus sein, dass wir über Dijon nicht hinauskommen. Wenn die Nullgradgrenze tiefer ist als vorhergesagt, müssen wir da Schluss machen. Erklär‘ das bitte auch Meike, damit sie nicht enttäuscht ist. Hotel würde ich in Cannes erst mal keines buchen. Wenn wir‘s bis dahin schaffen, finden wir schon was.“
Der Flug nach Süden ist viel entspannter, als Sie gedacht haben. Den Pickup machen Sie alleine, es geht zügig auf FL100 und Maike schaut verträumt auf den Undercast, über dem Sie jetzt fliegen. Sie waren ja mal in Chaumont und haben sich VFR durch den französischen Luftraum gekämpft. Hier IFR durchzufliegen ist ja so viel einfacher! Es ist fast langweilig. Nichts zu tun. Schauen, staunen und ab und zu mal funken. Sie kommen sich vor wie ein richtiger Airliner-Kapitän. Meike hat Tee und Brötchen mitgebracht und hier über der Bewölkung ist es so schön ruhig, dass Sie den sogar in Ruhe trinken können. Ganz anders als der VFR-Kampf unten durch! Mit den Brötchen wird‘s allerdings nix. Fritz hat beide schon lange verputzt als Sie mit Staunen fertig sind.
Querab Dijon kommt die Bewölkung hoch. Jetzt sind Sie IMC und es schüttelt. Die Temperatur liegt bei –3° auf der Windschutzscheibe ist etwas Eis zu sehen. „Da müssen wir was tun“, sagt Fritz. „Runter, wie besprochen?“, vergewissern Sie sich. „Ja, und wie weit?“ „Ausgerechnet jetzt lässt der mich Kopfrechenaufgaben lösen“, denken Sie sich. „Zwei Grad pro tausend Fuß, probieren wir mal FL060.“„D-XB request FL060 or lower due to ice“, sagen Sie den vorbereiteten Funkspruch auf. Sie bekommen 6.000 ft und siehe da, bei 7.500 ft wird das Eis auf der Scheibe flüssig und fliegt weg!
Eine halbe Stunde Schütteln müssen Sie in der Suppe ertragen, dann sind Sie wieder in the clear und können voraus schon das Mittelmeer erahnen. Der Anflug nach Cannes über das Meer und mit Blick auf Nizza ist traumhaft, auch wenn Fritz Sie wegen des etwas nachlässigen Approach-Briefings anmeckert.
Landung in Mandelieu und aussteigen in die warme Mittelmeerluft. VFR wären Sie nie hier hingekommen bei dem Wetter. Sie fühlen sich beim Aussteigen richtig gut, und Meike scheint zum ersten Mal mehr als nur artige Bewunderung für Ihren Fliegerei-Spleen zu zeigen. „Das ist natürlich sehr lässig“, sagt sie mit einem breiten Grinsen.
Eine Nacht verbringen Sie an der Küste und kommen sich fast ein bisschen wie im Jetset vor. Der Rückflug verläuft am nächsten Tag komplett in CAVOK. Dafür hätten Sie kein IFR gebraucht, aber ohne wären Sie nie hier runter gekommen.
Mit dem langen Überlandflug haben Sie jetzt fast 30 Stunden. Sie können jetzt langsamer machen, denn vor der Praxisprüfung müssen Sie noch die Theorie ablegen. Das ist in einem Tag in Braunschweig erledigt, und die letzten Stunden praktische Prüfungsvorbereitung sind dann nochmal richtig harte Arbeit, bei denen Fritz Ihnen nichts schenkt. Zum Glück können Sie die Prüfung auf Ihrer 172RG ablegen. Das ist ein Riesenvorteil.
Am Tag der Prüfung dann eine Überraschung. Andreas, der Sie eigentlich prüfen sollte, stellt Ihnen Katrin vor, eine IFR-Lehrerin aus der ATPL-Schmiede am Nachbarplatz. „Katrin macht gerade den IFR-Examiner und würde gerne Deine Prüfung unter meiner Aufsicht abnehmen“, erklärt Andreas. „Das wäre super, denn mit den ganzen neuen IFR-Schülern haben wir viel zu wenig IFR-Prüfer im Moment.“
Wie können Sie da nein sagen? Außerdem raunt Fritz Ihnen zu, dass ein Prüferanwärter immer nur Checks mit sicheren Kandidaten abnimmt. „Keiner tut sich da einen Wackelkandidaten an.“ Sehr beruhigend. Katrin macht also das Briefing mit Ihnen und Sie fliegen zu dritt. Sie machen eine Menge Fehler. Sachen, die Sie eigentlich können. Sie ärgern sich. Ob das reicht?
Nach dem Flug besprechen sich Katrin und Andreas. Ob die beiden sich nicht einigen können? War‘s so übel? Später erfahren Sie, dass das ganz normal ist bei Prüfungen unter Aufsicht. Dann verkündet Katrin Ihnen das Ergebnis: „Bestanden. Herzlichen Glückwunsch! War eine wirklich saubere Prüfung.“ Es folgt noch ein detailliertes Debriefing und scheinbar endloses Paperwork und zwei Wochen später liegt in Ihrem Briefkasten die neue Lizenz. Die kommt jetzt vom LBA, nicht mehr vom RP!
SEP (land) IR gültig bis ...
heißt es darin lapidar. Meine Güte! Vor einem halben Jahr konnten Sie sich das noch nicht einmal vorstellen!
Fazit
Der beschriebene Ausbildungsgang stellt nur eine der Möglichkeiten dar, ein IFR nach den neuen Regeln zu erwerben. Es gibt noch sehr viel mehr Varianten. Das neue IFR ist flexibel und praxisnah. Wir haben über die Möglichkeiten in der Vergangenheit schon häufiger berichtet.
Mit dem Inkrafttreten der neuen Regeln ist es jedoch noch nicht getan. Flugschulen müssen für die zehn Stunden Schulung unter ATO Programme entwickeln. Es wird einen hohen Bedarf an IFR-Lehrern und (wegen der US-IFR-Umschreibungen) einen noch höheren Bedarf an IFR-Prüfern geben. Werften werden alle Hände voll zu tun haben, bisherige VFR-Queens zur IFR-Zulassung aufzurüsten, und Behörden müssen sich mit der bislang eher ungewöhnlichen Ausbildung außerhalb einer ATO erst anfreunden. Das wird eine Menge Arbeit machen.
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird diese Arbeit jedoch auf eine positive Stimulation der Allgemeinen Luftfahrt zurückgehen. Piloten werden ihre Flieger zur Avionik-Werft bringen, weil sie sich endlich den Traum vom IFR-Fliegen erfüllen können, nicht weil es eine weitere sinnfreie Ausrüstungsvorschrift zu erfüllen gibt. Schulen werden neue Training-Manuals schreiben, nicht weil sich die Vorschriften zum x-ten Mal geändert haben, sondern weil Horden von Kunden vor der Tür stehen. Und Behörden werden alle Hände voll zu tun haben, nicht weil sich mal wieder alles umwälzt, sondern weil sich ein erheblicher Teil der Piloten in Deutschland freiwillig und umfangreich weiterbildet.
Das ist doch mal eine ganz andere Perspektive!