
Augenscheinlicher Zustand der LBA-Flugmedizin. |
© Adobestock |
Um es gleich vorweg zu schicken. Die aktuellen Missstände im Referat L6 des LBA sind eine Ausnahme. Die Behörde macht großenteils gute Arbeit, im europäischen Vergleich und auch gemessen an anderen Bundesbehörden. Stellenweise macht das LBA sogar sehr gute Arbeit und ist auch reformfähig. Beispielsweise im Referat L4 Lizenzen. Da haben sich die Bearbeitungszeiten deutlich verkürzt, es gibt flexible Regelungen für die sofortige Ausübung von Rechten bei Klassen- und Musterberechtigungen und die Erreichbarkeit und Kommunikationskultur mit dem Referat hat sich in den letzten Jahren um Lichtjahre verbessert. Das sehen wir in der Arbeit mit unserer ATO quasi täglich und das bestätigen uns auch viele Leser.
Deshalb nennen wir in unserer Kritik auch Namen und Verantwortliche. Weil eben nicht das ganze LBA eine Katastrophe ist sondern punktuell in einem – allerdings sehr wichtigen – Referat vieles im Argen liegt. Zuschriften wie:
„Mein Freund wartet seit fast drei(!) Jahren auf die Verlängerung seiner
fliegerärztlichen Zulassung. Ein Skandal!
Dein R.“
oder:
„Es ist wirklich eine Katastrophe, bei denen ändert sich nichts. Wir schicken nach wie vor regelmäßig E-Mails und versuchen anzurufen, um mal einen Schritt weiter zu kommen, und erhalten keinerlei Reaktion.“
gehören zumindest noch zu den Leserbriefen, die wir im Heft zum Thema L6 zitieren könnten. Viele Betroffene haben hingegen den Versuch, bezüglich der Situation noch höflich oder sachlich zu formulieren, schon lange aufgegeben.
Die Situation im Zuständigkeitsbereich der Abteilung L unter Referatsleiterin Yvonne-Christine Dams ist aber schon lange kein deutsches Problem mehr. Bereits Ende November letzten Jahres hatte der Kölner Fachanwalt für Medizinrecht Michael Schroeder, der auch im Luftrecht tätig ist, die EASA auf die katastrophale Situation in Deutschland aufmerksam gemacht.
Was viele in der Branche schon lange hinter vorgehaltener Hand sagen, spricht Schroeder gegenüber der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit deutlich aus.
Die Zustände im Referat L6 sind mehr als nur ein Ärgernis oder eine enorme finanzielle Belastung für die betroffenen Piloten. Sie sind inzwischen ein handfestes Risiko für die Flugsicherheit! Denn selbst der staatsgläubigste und behördenfreundlichste Pilot im Land weiß inzwischen, dass er schon bei den kleinsten und einfachsten flugmedizinischen Abklärungen einfach keinerlei geordneten oder irgendwie vernünftigen Verwaltungsprozess mehr zu erwarten hat.
Die unvermeidliche Folge: Medizinische Sachverhalte werden massenhaft verschwiegen oder allenfalls noch „off-the-records“ mit dem Arzt besprochen. Erkrankungen bleiben unbehandelt, Piloten fliegen, die das gar nicht oder zumindest nicht in diesem Zustand sollten.
Wer noch glaubt, irgendein Pilot würde eine physische oder psychische Erkrankung melden und freiwillig durch den Konsultationsprozess oder den Verweis an das LBA gehen, der träumt ganz einfach.
Vielleicht nimmt der ein oder andere gut abgesicherte Pilot die Untätigkeit der Behörde als einen vorgezogenen Renteneintritt in Kauf, aber wer noch fliegen will und noch nicht aktenkundig ist, der macht wenn sich Probleme anbahnen eines von zwei Dingen. Nämlich
- schweigen oder
- mit dem Medical auswandern.
Schroeder schreibt in einem Brief an die EASA u.a.:
„Aufgrund einer Vielzahl von Fällen, in denen insbesondere Verkehrspiloten großer Luftfahrtgesellschaften betroffen sind, habe ich jedoch die Erkenntnis gewinnen müssen, dass das Luftfahrt-Bundesamt ganz offensichtlich mit der Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben absolut überfordert ist. Es ist keine Seltenheit, dass einfach gelagerte Sachverhalte über mehr als ein halbes Jahr unbeantwortet liegen bleiben. Selbst das Weiterleiten von Akten zum Zwecke der Einsichtnahme oder das Weiterleiten von Akten an medizinische Sachverständige, die das Luftfahrt-Bundesamt selbst vorschlägt, machen dem Luftfahrt-Bundesamt erhebliche Schwierigkeiten. Bitten um Akteneinsicht bleiben – auch nach mehrmaliger Erinnerung – unbeantwortet.
[...]
Ich schildere Ihnen dies, weil eine ganze Reihe von Verkehrsflugzeugführern mir davon berichtet hat, dass sie ab und an unter gesundheitlichen Störungen wie z. B. Migräne leiden, was nach der VO EU 1178/2011 zur flugmedizinischen Untauglichkeit führt. Im Hinblick auf die Situation beim Luftfahrt-Bundesamt, die dortige Bearbeitungsdauer und dies muss man leider deutlich sagen – die dort vorherrschende Ignoranz und mangelnde Empathie – veranlassen viele Piloten, zeitweilig auftretende körperliche Beeinträchtigungen zu verschweigen bzw. zu überlegen, ob man diese nicht besser verschweigt, damit man nicht in die Endloswarteschleife des Luftfahrt-Bundesamtes gerät.“
Die EASA bestätigte den Erhalt von Schroeders Brandbrief am 20. Dezember 2023:
„Die von Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen wird die Agentur im Rahmen ihres Mandates [...] die dazu notwendigen Inspektionen durchzuführen, berücksichtigen.“
Seitdem hat es wohl geknirscht im Verkehrsministerium, aber mehr auch nicht. Denn eines ist klar, wenn man überhaupt etwas bewegen möchte beim Referat L6, dann führt der Weg über das Ministerium.
Staatssekretär Oliver Luksic hatte die Causa L6 bis vor einigen Wochen selber bearbeitet. Inzwischen heißt es aus dem Ministerium, dass der Leiter von LF-18 Raimund Kamp zuständig sei.
Gerichte werden ignoriert
Wer überhaupt Gehör finden will, muss sich also an das BMVI wenden. Anfragen und Eingaben ans LBA perlen an dieser Abteilung nämlich inzwischen spurlos ab. Das gilt interessanterweise auch für die deutsche Gerichtsbarkeit.
Zunächst einmal gewährt das LBA bei diesen Sachverhalten kaum noch Akteneinsicht. Nun kann der gegnerische Anwalt im Verwaltungsrecht alleine leider keine Akteneinsicht im Vorverfahren durchsetzen, das kann nur das Gericht, das dann die Akten an die Partei weiterleitet. Die Zeiten einer chronisch behördenfreundlichen Rechtsprechung sind nämlich zumindest bei der zweiten Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig inzwischen vorbei. Aber auch da hat das Referat L6 unter Frau Dams inzwischen einen Weg gefunden: Einfach totstellen. Anfragen des Verwaltungsgerichts Braunschweig werden schlicht nicht mehr beantwortet.
Das führt dann zu geradezu tragik-komischen Schriftwechseln. So schreibt ein deutsches Verwaltungsgericht z. B. an die Bundesbehörde LBA, nachdem mehrfache Fristsetzungen, auf eine Klage zu erwidern, fruchtlos verstrichen sind:
„Ihr Verhalten ist für mich nicht nachvollziehbar. Grundsätzlich sind Sie nach verschiedenen Vorschriften, die ich an dieser Stelle nicht im einzelnen aufführen möchte, verpflichtet, Aufforderungen des Gerichts in einem laufenden Verfahren nachzukommen. Wenn aufgrund erhöhter Geschäftsbelastung, wegen Personalmangels oder aus anderen Gründen mit längeren Stellungnahmefristen bei Ihnen zu rechnen ist, halte ich es nicht für zu viel verlangt, dass Sie dies dem Gericht auf eine konkrete Anfrage unter Hinweis auf den denkbaren zeitlichen Rahmen, in dem Ihnen eine Stellungnahme möglich sein wird, kurz mitteilen. Sprechen Sie mit uns. Zumindest ein telefonischer Hinweis an das Gericht sollte die Grenzen des Ihnen Möglichen nicht überschreiten.“
Die gleiche Hilflosigkeit legen Eltern von Teenagern an den Tag, wenn das Kind zum hundertsten Mal seinen haushaltlichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Und das gleiche Ergebnis erzielen sie auch: Null, Zero, Zipp, Nada! (ask me how I know).
RA Schroeder erklärt gegenüber Pilot und Flugzeug:
"Ungeachtet dieser Hinweise und Interventionen verschiedener Stellen ändert das Luftfahrt Bundesamt an der Sachbearbeitung nichts. An dieser Stelle kommt es dann zu ganz erheblichen Sicherheitsrisiken, die dem Luftfahrt-Bundesamt, namentlich der Leiterin der Abteilung L, Frau Dams, mehrfach offengelegt worden sind, ohne dass diese für eine Änderung Sorge getragen und eine Änderung herbeigeführt hätte.
Frau Dams wurde mitgeteilt, dass aufgrund der verzögerten und nicht stattfindenden Sachbearbeitung Pilotinnen und Piloten gesundheitliche Störungen nicht offenlegen, weil sie Angst haben, ohne Einkünfte zu sein.“
Piloten berichten gegenüber Pilot und Flugzeug in zahlreichen Fällen, dass ein in Deutschland untauglicher Befund in z.B. Österreich nach einer konkreten Untersuchung innerhalb von wenigen Wochen zu einer Tauglichkeit führt. Nicht weil in Österreich irgendwas laxer gehandhabt würde – dort beurteilt man nach den gleichen europäischen Regeln –, sondern weil dort überhaupt sachbezogen und zeitnah gehandelt wird.
Aber auch hier kann das as Referat L6 (das alle Rechtsangelegenheiten der Abteilung L bearbeitet) noch Steine in den Weg legen. Der Transfer einer einfachen flugmedizinischen Akte dauerte in einem uns bekannten Fall jetzt schon wieder über drei Monate. Möglicherweise, weil die Akte genauso schlampig geführt war, wie es das Gesamtbild, das die LBA-Flugmedizin zurzeit abgibt, vermuten lässt.
Oder weil sie mit inhaltsloser Prokrastination gefüllt war, nach dem Motto: „Kannste mir mal helfen“ / „Nee kann ich auch nicht“.
Mit dieser harschen, aber meiner Ansicht nach vollkommen berechtigten Kritik konfrontiert, reagiert Behördenleiter Jörg Mendel beleidigt und sieht das „Sachlichkeitsgebot verletzt“.
Wenn das Referat Flugmedizin aber grottenschlecht arbeitet und flächig eine Nicht-Leistung abliefert, die direkt und indirekt die Flugsicherheit gefährdet, dann verlangt das Sachlichkeitsgebot nun mal, dies auch genau so zu beschreiben und zu benennen.
Doppelwirkung bei Ausfallversicherungen
Das deutsche Rechts- und Verwaltungssystem ist nicht dafür ausgelegt, dass eine Bundesbehörde ein Verwaltungsgericht ignoriert oder anderweitig einfach die Tätigkeit einstellt.
Das führt nicht nur zu derart hilflosen Schreiben wie dem zuvor zitierten Bettelbrief des Verwaltungsgerichts Braunschweig, sondern auch zu einer perfiden Doppelwirkung für die Betroffenen.
Denn selbst die wenigen Piloten, die mittels Versicherung oder Arbeitsvertrag gegen medizinische Probleme abgesichert sind, laufen jetzt in ein Problem: Da die Fälle ja gar nicht bearbeitet werden, stellen sich die Versicherungen auf den Standpunkt, dass die eigentliche Ursache ja nicht der (z. B. in Österreich triviale) medizinische Sachverhalt sei, sondern das Versagen der Behörde. Und damit greifen die Versicherungen nicht. Denn gegen Staatsversagen kann man sich (noch?) nicht versichern!
Keine Änderung zu erwarten
Kurzfristig verfügbare Hilfsangebote z. B. aus dem Bereich der Bundeswehr-Medizin lehnt das Referat bislang ab: „Dams fragt uns ja nicht“, sagt ein hochrangiger Mediziner der deutschen Streitkräfte.
Und die hochgeschätzte Frau Dr. Tourneur, die das LBA nach viel zu kurzer Tätigkeit im Jahr 2021 verließ und dann nochmal zeitweilig zur akuten Brandbekämpfung für die Behörde tätig war, ist nun leider endgültig weg. Das man solche fähigen Leute nicht im Team halten kann spricht Bände über die Personalpolitik der Behörde.
Die gegenüber den GA-Verbänden geäußerten Maßnahmen sind der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Machen sich gut in Pressemitteilungen, ändern substanziell aber wenig.
Was passieren muss, ist klar:
- Das LBA braucht mehr Mediziner, die branchengerecht bezahlt werden müssen.
- Es muss viel mehr mit externen Experten gearbeitet werden, die für ihre Tätigkeit ebenfalls konkurrenzfähig entlohnt werden müssen.
- Verfügbare Ressourcen z.B. in der Bundeswehr-Medizin müssen sofort und ohne jede Rücksicht auf behördliches Zuständigkeitsgerangel genutzt werden.
- Das gerichtliche Mauern des Referats muss aufhören – und zwar sofort!
Bei Punkt eins und zwei können wir ebenfalls von Österreich lernen. Verwaltungshandeln der AustroControl ist im Nachbarland sehr viel teurer für die Bürger. Aber es passiert wenigstens. Es gilt: „You get what you pay for!“
Das gerichtliche Mauern des LBA ist mehr als kurzsichtig: Deutsche Gerichte mögen einer arbeitsverweigernden Behörde gegenüber temporär hilflos sein. Aber vergesslich sind sie nicht! Das weiß jeder, der schon mal mit Gerichten zu tun hatte.
Das Mauern der Behörde in Tauglichkeitsprozessen sowie bei Schadenersatz- und Untätigkeitsklagen wird der Bundesverwaltung irgendwann finanziell ganz kräftig auf die Füße fallen. Möglicherweise spekulieren Frau Dams und Herr Mendel darauf, wenn das passiert ausreichend karrieretechnischen Sicherheitsabstand zum Detonationsradius zu haben – ganz sicher ist das aber nicht.
Die Causa LBA-Flugmedizin ist inzwischen weit über den normalen Rahmen des behördlichen Powerplays hinausgewachsen. Das ist kein Fall mehr von „Naja, wir lassen das mal ein bisschen hochkochen, dann gibt‘s im nächsten Jahr mehr Budget und mehr Personal“.
Die Sache hat sich zu einem unerträglichen Staatsversagen der Bundesrepublik im Bereich der Luftfahrtverwaltung entwickelt. Und das gefährdet akut die Flugsicherheit in Europa!