Liebe Fliegerkameraden,
hier wurde nun schon öfter darauf eingegangen, dass die bestehende Vorschriftenwelt in der Fliegerei völlig ungeeignet ist, unsere Zehntausendschaft (Ja, so viele sind wir alleine in Deutschland) in EINEN! Topf zu werfen, der allen gerecht wird.
Zu glauben, die ZÜP verhindere Terroranschläge ist genauso naiv wie die Annahme, das wie auch immer geartete Lizenzen, Vorschriften, Regeln, Voraussetzungen, Bedingungen, etc... Unfälle und Fehler gänzlich vermeiden können. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten dass das Bewusstsein, alle Vorschriften einzuhalten, eine falsche Sicherheit vermittelt. Getreu dem Motto: Was ich tue ist legal, also kann nichts schiefgehen. Ein kleines Beispiel hierzu:
Letzte Saison traf ich mich mit einem neuen Vereinsmitglied um eine Grundeinweisung in unsere Vereinscessna (172XP, Einspritzer, Verstellpropeller, Kühlluftklappen, Seitenrudertrimmung, Viersitzer, ... ) vorzunehmen. Das Zeitfenster für diese Einweisung -es war Freitagabends- betrug zwei Stunden, also genug um den Flieger ausführlich von Außen und Innen zu inspizieren und ggf. noch eine Eingewöhnungsrunde ums Haus zu fliegen. Der Einzuweisende Kamerad hatte kurz zuvor seinen Schein in einer Flugschule erworben, wo er ausschließlich C152 flog. Auf die Frage ob er die nächsten Tage noch Zeit für weitere Einweisungsvorhaben hätte, schaute er mich ganz verdutzt an. Er habe die Maschine bereits für morgen Vormittag reserviert, um mit seiner Lebensgefährtin nach Norddeutschland zu fliegen?!?!? Ab dem Moment hab dann ich verdutzt geschaut ;-) Dass das keine gute Idee ist, hat er mir erst nach der Eingewöhnungsrunde ums Haus geglaubt, da ihn die Vielzahl an Unterschieden zur C152 doch etwas überforderte. In der Flugschule habe man ihm gesagt, dass ihn seine Lizenz berechtige, alle einmotorigen Kolben-Landflugzeuge bis 5,7t zu fliegen. Für die meisten Flugzeuge in der Echo-Klasse müsse lediglich eine kurze Einweisung erfolgen.
Ich möchte darauf hinaus, dass es nicht möglich ist anhand starrer Vorschriften den Misfit zwischen "Können" und "Dürfen" restlos zu beseitigen. Ich kenne Piloten, die gemäß ihrer Lizenz Dinge dürften, die sie gar nicht können/nicht mehr können/noch nie konnten, genauso wie auch Piloten die Dinge könnten, die sie von Gesetzes wegen gar nicht dürfen. Das ist völlig normal und kein Lizenzwesen dieser Welt wird frei von diesem Makel sein!
Ich bringe Flugschüler und Einzuweisende häufig zur Verzweiflung, weil ich die Antworten auf viele ihrer Fragen mit "Es kommt darauf an..." beginne. Der gewöhnliche, sich nach Vorschriften, Regeln und Standards sehnende Pilot, möchte am liebsten nichts als allgemeingültige und für immer und alle Situationen Gültigkeit besitzende Aussagen hören. Dieser Ansatz wird aber der Komplexität, besonders in der AL nicht gerecht. Ein ganz einfaches Beispiel: Die Anfluggeschwindigkeit. Für manche Leute mit denen ich fliege, bricht eine Welt zusammen, wenn ich ihnen sage, dass die "Anfluggeschwindigkeit" in einer C172 nicht 65kt beträgt. Es ist ein empfohlener Richtwert, der gemäß der "Fly-the-Numbers-Regel" in den meisten Fällen zum Ziel führt. Aber es gibt viele Faktoren, die berücksichtigt werden wollen, wenn durch Anpassung dieser empfohlenen Geschwindigkeit bessere Landeergebnisse erzielt werden sollen. Achtet mal darauf bei Starkwindwetterlagen: Ein Großteil der Piloten wägen sich mit der Fly-the-Numbers-Methode in Sicherheit (weil ja die empfohlene Anfluggeschwindigkeit auch bei Wind genügend Reserven bietet). Die wenigsten denken dabei über die Bodengrenzschicht nach. Das führt dann dazu, dass das Anflugprofil von anfänglich hohen Sinkwinkeln geprägt ist. Sich in Sicherheit wägend ist man nicht mehr "ahead of the aircraft", fliegt stumpf die "Numbers", welche man bei nachlassendem Gegenwind, instinktiv durch starkes Nachdrücken erzwingt. Schwups die wups befindet man sich weit unterhalb eines vernünftigen Anflugwinkels. Dieser flache Anflugwinkel wird dann von den meisten, bis zur Landung beibehalten. Hohe Anstellwinkel, schlechte Sicht auf die Bahn, sowie eine ungünstige Position für Durchstartmanöver sind die Folge. Natürlich gelingen die Landungen in der Regel trotzdem. Optimal ist aber etwas anderes. Wie gesagt: Achtet einfach mal darauf.
Ich möchte hier nicht die Fly-the-Numbers-Methode in Fragen stellen, sondern darauf aufmerksam machen, dass sich schon über einen winzigen Teilaspekt der Fliegerei, nämlich der Anfluggeschwindigkeit, vortrefflich diskutieren lässt und die Auswahl einer geeigneten Anfluggeschwindigkeit nur eine von 1000 Entscheidungen ist, welche für JEDEN Flug neu getroffen werden sollte, wenn man gute, fliegerische Leistungen erbringen möchte.
Wenn also Standards, Regeln, Vorschriften, etc. nicht geeignet sind, die Anforderungen der Realität in ausreichender Qualität abzubilden, müssen wir selber aktiv werden, um uns in die Lage zu versetzen, Entscheidungen die der Standard nicht abdeckt, passend zu treffen. Der Begriff des mündigen Piloten ist hier bereits gefallen. Der Einflug in Bodennebel ist eine Situation, die der Standard und die Vorschriften des GA-Piloten nicht kennen, weil verboten und gefährlich. Aber nur weil die mangelhafte Abbildung der Realität in Vorschriften und Standards diese Situation nicht kennt, heißt das offensichtlich nicht, dass diese Situation nicht vorkommt. Wie oft und weshalb sowas vorkommt, soll hier gar nicht diskutiert werden. Wichtig ist die Erkenntnis, dass es wichtig und richtig ist, sich auf dem Weg zu einem mündigen Piloten auch mit Situationen auseinanderzusetzen die man für sich selber eigentlich als undenkbar erachtet. Wenn Achim Hasenmöller also hier über seine legalen! Erfahrungen mit selbstgebastelten, simulierten! IMC-Approaches berichtet, finde ich das genauso förderlich wie Guido Warneckes Videos zu Anflügen bis ans Minimum. Beides vermittelt einen Eindruck von Grenzen und Möglichkeiten in vergleichbaren Situationen. Ich sehe in Achims Beiträgen keinerlei Aufruf zu illegalem Verhalten, sondern Aufruf und Warnung zugleich, sich mit der Möglichkeit im Falle eines Notfalls! auseinanderzusetzen. Wer einen solchen Notfall für sich selber ausschließt und die mentale Auseinandersetzung damit, von vornherein ablehnt, ist - Entschuldigung - ein Narr.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn ich mich im Rahmen der geltenden Vorschriften! auch mit Situationen auseinandersetze, die der Ausbildungssyllabus, Checklisten, Vorschriften oder die Fly-the-Numbers-Methode nicht abbilden, komme ich dem Ideal eines mündigen, verantwortungsbewussten Piloten wieder ein Stückchen näher. Dafür muss ich Zusammenhänge nicht nur wissen und anwenden können, sondern vielmehr verstehen!!! Standards sind ein wichtiges Handwerkszeug, aber kein Allerheilmittel. Das muss jedem hier bewusst sein.
Eine Situation fällt mir gerade noch ein, die völlig abseits des Standards, aber legal und denkbar ist, sowie einen mündigen Piloten erfordert: Ein Verkehrsunfall auf der Landstrasse, keine Rettungskräfte am Boden erkennbar, daneben ein 100m langes Feld. Ein Pilot der sich die Mühe gemacht, seinen Flieger auch Abseits des Standards (65kt Anfluggeschwindigkeit) kennenzulernen, sowie durch aufmerksame und bewusste Auseinandersetzung mit der Umwelt (Beurteilung von Wind und Wetter, Topographie, Bodenbeschaffenheit, Bewuchs und Feuchtigkeit des Bodens entsprechend der Jahreszeit und der Niederschläge der vergangen Tage, Hindernissituation, etc... ... ... ... ... ... ) wird ggf. in der Lage sein, unter Abwägung der Umstände zur Hilfe zu kommen, ohne etwas kaputtzumachen oder jemanden zu gefährden. Für Fly-the-Number-Fanatiker sicher ein undenkbares Szenario, da viel zu risikoreich, usw... . Falsch: Kein Szenario ist simpel genug, um es pauschal zu bewerten. Risikoreich ist es lediglich, bestimmte Szenarien a priori auszuschließen und zu ignorieren. JEDER Flug ist anders, KEIN Szenario undenkbar!
Diese aktiven Bemühungen um das Verstehen der Zusammenhänge bedeuten ARBEIT, viel Arbeit, viel unbezahlte Arbeit. Das Bewusstsein darüber fehlt der Generation Piloten, die derzeit in den kommerziellen Flugschulen großgezogen wird. Profitgier der Schulen, das Bestehen von standardisierten, eben nicht die Realität abbildender Prüfungen, 200h Flugerfahrung unter Aufsicht eines Fluglehrers, sowie schwache 19 Jahre Lebenserfahrung führen dazu, dass man seine Seele für 1.200,- netto verkauft und zusammen mit dem Kapitän der 5 Jahre älter ist, die Verantwortung für 150 Passagiere übernimmt. Dazu ein riesiger Schuldenberg, Angst vorm Jobverlust, verhältnismäßig wenig Erfahrung,... Eine mündige Besatzung, die auch mal Nein sagen kann, sieht anders aus. Selbst wenn diese junge Besatzung irgendwann mal "groß" geworden ist, ihren Schuldenberg abbezahlt hat, und einige 1000h Erfahrung auf dem Buckel hat, hat sie nicht gelernt die Zusammenhänge abseits der Standards zu verstehen und auch immernoch nicht gelernt "Nein" zu sagen.
Wenn es gar nicht mit der Linienfliegerei klappt, wird man vor lauter Verzweiflung Fluglehrer und kann außer den Vorschriften und Standards die auswendig gelernt wurden, nichts vermitteln was die kommende Generation für die komplexen Zusammenhänge sensibilisiert. Da sich dieses System schon seit einigen Jahren in dieser Abwärtsspirale befindet, wundert es mich auch nicht mehr, dass scheinbar ausgewachsene und gestandene Männer, blindlings in die Sch... fliegen.
Seid achtsam, sprecht miteinander, tauscht euch aus. Nehmt was ihr kriegen könnt, wenn es darum geht, den eigenen fliegerischen Horizont im Rahmen eurer (und auch der gesetzlichen) Möglichkeiten zu erweitern. Seid kritisch bei Pauschalaussagen, seid offen für Neues, ... Ich hoffe man versteht worauf ich hinaus will :-)
Beste Grüße und always happy landings
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