Der Monat Januar brachte für die Halter und Besitzer von Kolbentriebwerken gleich zwei weitere Triebwerks-ADs. Schrottreife Kurbelwellen und Zylinder, die nach 800 Stunden schon getauscht werden müssen nichts ungewöhnliches.
Aber warum? Warum geht es bei Turbinen- oder Strahltriebwerken beispielsweise auch ohne monatliche Rückrufaktionen? Warum sind Kolbentriebwerke in der Allgemeinen Luftfahrt von solch sagenhaft schlechter Qualität? Schließlich wird für jede Schraube und jedes Zahnrad kiloweise Papier beschrieben, und in den USA und in Europa wachen gleich mehrere Behörden über die Qualität von Komponenten in der Luftfahrt. Die Antwort: weil wir uns das gefallen lassen.
Betreiber von Lycoming-Triebwerken mussten in den vergangenen Wochen gleich zweimal die Luft anhalten. Zwei Triebwerks ADs führen uns mal wieder vor Augen, dass unsere Technik erhebliches Verbesserungspotential birgt.
Zum Einen fand die unendliche Geschichte um die Lycoming-Kurbelwellen AD eine weitere Fortsetzung aus dem Kapitel freu dich nicht zu früh, denn auch du könntest betroffen sein, zum anderen veröffentlichte die FAA eine AD für ECi-Zylinder, die den Austausch nach immerhin 800 Stunden (da wären manche Conti-Besitzer schon froh!) vorschreibt.
AD 2005-26-10 für die ECi-Zylinder betrifft dabei rund 10.000 Zylinder der Partnummern AEL65102 und AEL65099. Betroffen sind die Seriennummern 1 bis 9879. Diese Zylinder finden in nahezu sämtlichen Motoren der Lycoming-Reihen 320, 360 und 540 Verwendung. Die betroffenen Zylinder müssen nach 800 Stunden getauscht werden, man darf also getrost von einem Supergau für ECi sprechen. ECi hat für die betroffenen Kunden ein entsprechendes Pro-Rated-Replacement-Program aufgesetzt, betroffene Kunden müssen sich mit der Firma aus San Antonio, Texas, direkt in Verbindung setzen.
Also immer schön Originalteile kaufen, höhnt der Fliegerstammtisch! Not so fast! Lycoming hat in dieser Woche 325 weitere Kurbelwellen für Triebwerke der 360er Serie auf den Index der von AD 2005-19-11 betroffenen Seriennummern gesetzt. Offenbar scheint die Firma aus Williamsport aber mit dem Austausch der betroffenen Teile nachzukommen, nach eigenen Angaben sind 80% der von der ursprünglichen AD betroffenen Triebwerke bereits umgerüstet. Vielleicht halten diese ja jetzt etwas länger...
Währenddessen schieben sich Lycoming und ein Zuliefererbetrieb die Schuld für das Desaster zu. In einem Geschworenenprozess unterlag Lycoming im vergangenen Jahr. Das Gericht stellte fest, dass Lycoming durch eine Vanadium-Beigabe die Eigenschaften der Kurbelwellen negativ beeinträchtigt hätte, dass die Kurbelwellen ohnehin zu schwach entworfen seien und dass Lycoming die FAA über die Ursachen und Erkenntnisse in die Irre geführt habe (Pilot und Flugzeug berichtete im Internet).
Allerdings: Experten bezweifeln die Lesart des Gerichtes. Die Vanadium-Beigabe jedenfalls kann nach Ansicht führender Hersteller von Motorenkomponenten nicht die vom Gericht festgestellte verminderte Gefügefestigkeit des Kurbelwellenstahls verursacht haben. Im Gegenteil.
Fest steht jedoch, dass zumindest in den großen Motoren der 540er Serie Kurbelwellen versagt haben. Fest steht auch, dass Lycoming offenbar keine klare Vorstellung von der Ursache des Problems hat, denn nach und nach werden auch Kurbelwellen aus anderen Produktionsbatches als der ursprünglich betroffenen auf die Liste der AD gesetzt.
Fest steht, dass in dem betroffenen Zuliefererbetrieb nach Ansicht von Brancheninsidern Kurbelwellen für Flugzeugtriebwerke hergestellt werden mit Verfahren und Prozesskontrollen, mit denen kein seriöser Hersteller von Rasemähern heute noch Produkte auf den Markt bringen könnte. Und diese Zustände sind keineswegs ein Einzelfall. Eine mehr oder weniger hilflose Aufsichtsbehörde schwankt zwischen den zwei Extremen, jede noch so fadenscheinige Erklärung eines Herstellers ungeprüft zu akzeptieren oder auf der anderen Seite harte und für die Halter extrem kostspielige Lufttüchtigkeitsanweisungen herauszugeben.
Können Sie sich vorstellen, dass General Electric oder Rolls Royce seinen kommerziellen Airline-Kunden der CFM- und Trent-Triebwerke derartige Zitterpartien zumutet? Dass Pratt&Whitney auf einmal Tausende PT6-Turbinen zurückruft, ohne genau zu wissen, was eigentlich das Problem ist? Das ist ausgeschlossen. Und diese Unternehmen werden von der gleichen Behörde kontrolliert, arbeiten mit unterschiedlichen Produkten zwar unter den selben grundlegenden Regularien.
Qualität und Sicherheit im Motorenbau beginnen also im Unternehmen. Keine noch so scharfe oder bürokratische Behörde kann einen unwilligen Herstellerbetrieb zu Qualität und Prozesssicherheit zwingen. Das können nur die Kunden.
Shit happens die Frage ist, wie man damit umgehtEin Beispiel aus der Praxis: Die Firma Thielert Aircraft Engines verzeichnet über 500 fliegende Diesel-Triebwerke der Centurion 1.7 Serie. Sie ist damit der einzige wirklich ernstzunehmende Hersteller von Flugmotoren in der Echo-Klasse neben den zwei Monopolisten Lycoming und Teledyne-Continental.
Nicht nur in Zeiten hoher Avgas-Preise erfreuen sich sparsame Dieseltriebwerke großer Beliebtheit, modernes Triebwerksmanagement, Einhebelbedienung, Flüssigkeitskühlung und die Fähigkeit zur technischen Selbstdiagnose waren vorher in der Welt der Luftboxer aus USA unvorstellbar.
Wie jede Neuerung, jede Revolution, müssen sich auch die TAE-Motoren gegen Vorurteile, Stammtischgeschwätz und erhebliche Tatsachenresistenz in der Branche wehren. Ob ein aus dem KFZ-Bau abgeleitetes Triebwerk überhaupt fliegen kann? Ob ein Motor, der zum Laufen Strom braucht, sicher ist? Dass eine TAE-Cessna keine Wurst vom Teller zieht und im Takeoff irgendwie schlechter sei als der röhrende Lycoming-Hirsch... das alles erinnert ein bisschen an die Experten, die im aufkommenden Dampfzeitalter warnten, kein Mensch könne eine Reisegeschwindigkeit schneller als die eines galoppierenden Pferdes überleben. Vor allem in Deutschland herrscht an solchen Bedenkenträgern und deren verbalen Erzeugnissen wahrhaftig kein Mangel.
Die zunehmende Zahl der Fleet-Operator von TAE Motoren, die große Standfestigkeit der Triebwerke im täglichen Einsatz und nicht zuletzt auch der erhebliche Markterfolg der Technologie zeigen hingegen, dass dort, wo gerechnet, beobachtet und rational auf der Basis von Tatsachen gehandelt wird, der TAE-Motor den Avgas-Boxer mehr und mehr ersetzt.
Nun ist keine Technologie frei von Problemen ein Argument, das auch auf die TAE-Motoren zutrifft. Die Frage ist nur: Wie gehen wir damit um?
Es geht nicht ohne Eigenverantwortung!Ein Beispiel: Im Mai 2005 treten in kurzer Folge drei Fälle von Leistungsverlust im Flug beim TAE 1.7 auf. Diese werden von den Steuercomputern der Triebwerke registriert und landen schlussendlich in der Auswertung beim Hersteller. Niemand kommt zu Schaden, aber die Vorgänge sind in jedem Fall luftsicherheitsmäßig bedenklich. Ohne bereits die genaue technische Ursache zu kennen, stellt man bei TAE anhand der Kunden- und Triebwerksdatenbank innerhalb von nur Stunden fest, dass alle betroffenen Triebwerke eine Gemeinsamkeit haben: eine kürzlich überholte Rutschkupplung (die Propeller und Getriebe beim Abstellen vor Schaden schützt).
Etwa 90 Kupplungen waren von dem nach wie vor unbekannten Problem betroffen, 80 davon flogen zum damaligen Zeitpunkt. Auch das war anhand der Herstellerdatenbank sofort festzustellen. Die Firma TAE nimmt umgehend Kontakt mit dem LBA auf und informiert die Behörde über die Vorfälle und Erkenntnisse. Wir brauchen etwa vier Wochen für eine LTA, gibt das LBA zu verstehen vollkommen inakzeptabel aus Sicht des Herstellungsbetriebes.
Zeitgemäßer Support ist schneller als die Behörde - und das nützt allen!Man kommt überein, dass TAE selbst die betroffenen Kunden informiert und zwar sofort. So erhalten vom Einzelkunden bis zum Fleet-Operator Flugzeugbesitzer in diesen Tagen einen Anruf, der ihnen die frohe Botschaft übermittelt, dass das Flugzeug oder die Flotte erstmal gegroundet sind. In weniger als einer Woche hatte TAE die betroffenen 80 Kupplungen getauscht. Natürlich vor Ort und natürlich für die Kunden kostenlos. Die Fleet-Kunden waren sämtlich schon nach 48 Stunden wieder in der Luft.
Können Sie sich das bei Lycoming vorstellen? Dass Sie einen Anruf aus Williamsport erhalten, man habe ein Problem mit dem Accessory-Case festgestellt, aber ein Reparaturteam sei schon unterwegs und man bräuchte eigentlich nur noch die Schlüssel fürs Flugzeug? Das ist selbst für Automobilstandards nicht übel.
Die Reaktion bei den Kunden war durchgehend positiv, berichtet Frank Thielert im Gespräch mit Pilot und Flugzeug, niemand freut sich, wenn das Flugzeug gegrounded ist, aber ich denke, die Halter waren beeindruckt von unserem Support.
Wie sich erst deutlich später herausstellte, waren die betroffenen Kupplungen bei der Überholung gereinigt worden, wobei die Reinigungsflüssigkeit zu einer chemischen Reaktion mit der Oberfläche führte, was wiederum später im Betrieb den Reibwert der Kupplung veränderte.
Dank einer Kundendatenbank und der konsequenten Nutzung von Qualitätssicherungstechniken auch nachdem ein Motor verkauft und bezahlt ist konnte das Problem aber abgestellt werden, bevor es ursachentechnisch überhaupt identifiziert war oder bei der zuständigen Aufsichtsbehörde überhaupt ein Vorgang angelegt wurde.
Selbstgebaute Hindernisse Ende der Geschichte? Noch nicht ganz. Denn nicht alle Kunden wurden über den erforderlichen Kupplungstausch unterrichtet.
Bei der Braunschweiger Aerodata passierte ein Fehler, der auch dem Team von TAE durch die Lappen ging und ein Vereinskunde erfuhr am Ende nichts von dem erforderlichen Austausch seiner Kupplung. Das Ergebnis: Wie um die Richtigkeit der Fehleranalyse zu bestätigen, erlitt die Cessna am 18.06.2005 einen Leistungsverlust im Flug und landete im Acker. Niemand kam zu Schaden und das Flugzeug wurde nicht beschädigt aber vorkommen darf so etwas auf gar keinen Fall. Wir haben daraus gelernt, sagt Firmenchef Thielert gegenüber Pilot und Flugzeug: wir haben gesehen, wie wichtig es ist, bei den Servicepartnern dafür zu sorgen, dass unsere Kundendatenbank immer auf dem neuesten Stand ist.
Diamond hingegen verlangte erst eine amtliche LTA zu sehen, bevor man den Austausch als verbindlich ansah.
Manchmal baut man sich seine bürokratischen Hindernisse eben auch selber. In diesem Fall konnten aber dank vollständiger Kundendaten alle Halter direkt durch Motorenhersteller informiert werden.
Zwei Dinge werden in dieser Geschichte offensichtlich.
Erstens: Ohne einen engagierten und vor allem fähigen Hersteller läuft gar nichts im Sinne der Flugsicherheit.
Die althergebrachten Wege aus Behördenaufsicht, Lufttüchtigkeitsanweisung und Nachprüfung sind viel, viel zu langsam, um einen Operator wirklich sinnvoll zu unterstützen. Mit anderen Worten: Wer darauf vertraut, dass die Behörde ihn rettet, der hat von vorn herein verloren.
Zweitens: Die Behörde hat immer genau zwei Möglichkeiten: entweder im Wege einer Notfall-LTA sämtliche Flugzeuge eines bestimmten Musters zu grounden oder aber einen langwierigen Zyklus aus TM, LTA und Instandhaltungsanweisung zu beginnen.
Ein sich abzeichnendes Problem im Keim zu beseitigen, bevor listenweise Seriennummern auf den ADs und SBs der Aufsichtsbehörden erscheinen, das kann nur der Hersteller.
Die Frage ist, was wir als Kunden in der Allgemeinen Luftfahrt wollen. Wer sich über 25.000 Euro plus Umbau für einen TAE-Motor aufregt und festhält, dass er seinen O-320 schon für 15.000 Euro grundüberholt bekommt, der muss sich fragen lassen, wieviel Produktsupport er denn schon von dem Hersteller aus Williamsport erhalten hat. Führen Lycoming oder Continental eine Datenbank mit allen fliegenden Triebwerken und können anhand von kompletten Assembly-Lists schon aufgrund von wenigen Störungsmeldungen aus dem Bordcomputer feststellen, welche Triebwerke eventuell noch betroffen sind?
Wie oft hat Continental schon Reparaturteams ausgeschickt, bevor der Kunde überhaupt wusste, dass er ein Problem hat?
Nur aufgrund von QS-Analysen verschiedener Service-Difficulty-Reports? Eher selten oder? Rolls-Royce tut dies. General Electric tut dies. Pratt&Whittney tut dies. Thielert tut dies.
Keine Technologie ist problemfrei oder frei von Störungen, aber deshalb entwickeln sich die Probleme der einen zu jahrelangen AD- und SB-Orgien, während die anderen zügig und im Sinne der Kunden gelöst werden.
Nicht zuletzt deshalb ist der immer wieder anstehende Vergleich zwischen TAE- und Lycoming-Motoren aus meiner Sicht geradezu lächerlich. Soweit der computergesteuerte vollautomatische TAE-Antrieb von dem Rohboxer aus den USA technisch entfernt ist, soweit sind die Vertriebs- und Support-Technologien der beiden Hersteller konzeptionell voneinander weg. Wie oft schon wurde nach der PT-4, der Propellerturbine für die Echoklasse, gerufen in der Hoffnung, endlich Zuverlässigkeit und Produktsupport auch in diesen Bereich der Allgemeinen Luftfahrt zu bringen.
Dabei ist es unerheblich, ob ein solcher Antrieb nun auf einer Turbine oder einem Kolbenmotor beruht. Entscheidend ist nicht, ob sich vorn Schaufelräder oder Kurbelwellen drehen. Entscheidend ist, dass egal bei welchem Antriebskonzept Produktsupport und Qualitätssicherung Einzug halten.
Jetzt gibt es solche Antriebe für die AL. Und was tun wir? Wir beklagen uns, dass diese in der Anschaffung etwas teurer sind, wir schützen Stammtischparolen und Halbwissen vor und versenken derweil bündelweise Euros in Zylinderreparaturen und Avgas-Tankrechnungen.
Exi
stenzfrage
De
r Kunde muss sich eben überlegen, was er will. Er hat mit einem Lycoming-Motor tatsächlich eine Chance, zweitausend Stunden ohne erhebliche Probleme zu fliegen. Auch ich hätte vor unserem Superior-Zylinderdrama mit dem Redaktionsflugzeug noch Stein und Bein auf die Standfestigkeit der beiden kleinen IO-320 Motoren der Marke Bulletproof geschworen. Und es gibt Triebwerke, viele Triebwerke, die klaglos ihre TBO herunterspulen. Das Problem ist nur: Erweist sich dieses Los in der großen Triebwerkslotterie als eine Niete, steht der Halter allein. Dann darf in nicht selten jahrelangen Wartungsorgien nach dem Gut-Glück-Prinzip getauscht, probiert, repariert, gehorcht, vermutet und geschraubt werden. Jedenfalls in den meisten Fällen.
Hat der Halter mit einem modernen Antrieb, sei es ein Kolbentriebwerk oder eine Propellerturbine, ein Problem, so steht ihm in aller Regel ein Unternehmen mit einem zeitgemäßen QS- und Diagnosesystem zur Seite.
Beide Konzepte konkurrieren nun auf dem Markt. Es liegt allein an uns, für welches wir uns entscheiden.
Dieses simple Dilemma ist in meinen Augen die Überlebensfrage der Allgemeinen Luffahrt. Keine ZUP und kein Medical, kein Flugleiter und keine Theorieprüfung kann einen fähigen, ambitionierten und rationalen Menschen von der Allgemeinen Luftfahrt so nachhaltig abschrecken, wie die fünfte oder zehnte Reparaturrechnung für ein und dasselbe Problem.
Solange Handhabung und Diagnosetechnik eines Triebwerks nicht mal den Stand der 70er Jahre erreicht haben, solange der Pilot halb Mechaniker und halb Voodoo-Priester sein muss, um seinen Boxer-Drachen überhaupt zum Laufen zu bringen, solange werden zahlungskräftige und anspruchsvolle Kunden sagen nein danke - und das mit Recht.
Dann bleibt die GA, was Sie heute ist: eine Evolutionsnische für Liebhaber und das richtige Leben fängt bei einer Turbine und 700-1.000 Euro pro Stunde an. Das allerdings verkleinert die Grundgesamtheit erheblich.