Ein EKG kann etwas über einige, aber nicht alle Pathologien aussagen. Vielleicht kann sich ja mal einer der (Flieger-)Ärzte hier drüber äußern.
Zum EKG und dessen "Sinn" im Rahmen der Tauglichkeitsuntersuchung kann man einiges festhalten:
- Das EKG ist der "Klassiker der Ischämiediagnostik", d.h. in der Detektion einer Sauerstoffmangelversorgung des Herzens. Die Vorteile liegen auf der Hand: Günstig, nicht invasiv, ubiquitär verfügbar, schnell gemacht. Der Nachteil: Es ist natürlich nicht perfekt, da sich nicht alls Ischämieformen im EKG manifestieren. Dem Einsatz in der Klinik geht aber häufig eine konkrete Fragestellung bzw. ein Verdacht voraus, also z.B. Brustschmerzen, unklare Bewusstlosigkeit, Schwindel, etc.
- Der Einsatz von (Ruhe)-EKG im Rahmen eines Medicals ist etwas anderes, da es sich um ein reines Screening handelt. Hierbei geht es um das Entdecken bisher unbekannter Probleme, die den "Patienten" (bzw. Piloten) bisher nicht beeinträchtigt haben, aber durchaus im Flug sicherheitsrelevant werden könnten. Genannt werden muss hier z.B. das unerkannte Vorhofflimmern, dieses kann teilweise ohne nennenswerte Leistungseinschränkung im Alltag unentdeckt bleiben, aber die Bildung von Blutgerinnseln fördern, die dann wiederum z.B. Schlaganfälle verursachen können. Die Prävalenz steigt ab 60 Jahren von unter 1% auf rund 4% (Zoni-Berissio M et al, 2014).
- In Bezug auf die Vorhersagekraft des EKGs: Auch die EKGs von Patienten ohne diagnostizierte Herz- oder Gefässerkrankung können, insbesondere beim Vorliegen von Risikofaktoren (Fettleibigkeit,hohes Cholesterin, etc.) relevante Veränderungen aufweisen, wordurch ggf. weitere Diagnostik oder Gesundheitsprävention angestoßen wird (Krittayaphong et al, 2019). Somit verfolgt das EKG bei Fliegerarzt durchaus auch einen präventiven Ansatz. Das EKG kann aber definitiv kein kardiovaskuläres Ereignis voraussagen (also z.B. den Herzinfarkt oder Schlaganfall). Der Einsatz im Screening wird daher bei einer kardial in der Regel gesunden Population (also z.B. Menschen unter 40) nicht empfohlen. (Da gibt es dann den Aspekt der falsch-positiven Befunde, mit all dem Ärger und Kosten die soetwas für den Betroffenen und das Gesundheitssystem nach sich zieht....aber da will ich jetzt nicht tiefer einsteigen)
- Noch kurz zum Belastungs-EKG: Hier versucht man, die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems "unter Stress" einzuschätzen. Dabei ist in Bezug auf den Herzinfarkt der "negativ prädiktive Wert (NPV)" interessant...anders formuliert - wenn nichts raus kommt, wie entspannt kann man dann sein dass auch nichts ist? Bei der Betrachtung schwerer Blockaden in den Herzkranzgefäßen, die mit sehr hoher Wahrschenlichkeit klinisch relevante Herzinfakrte produzieren, liegt dieser NPV immerhin bei 96%. Betrachtet man alle Einschränkungen der Herzkranzgefäße, also auch die leichten Fälle, sinkt der NPV bereits auf 82%. Auf der anderen Seite weiß man, dass einem pathologischen Befund im Belastungs-EKG auf jeden Fall mit weiterer Diagnostik nachgegangen werden muss (Singh T et al, 2020).
Fazit: Das EKG hat gerade bei der älteren Pilot*innenpopulation sicherlich seine Berechtigung und Stellenwert, ist aber leider keine Kristallkugel. Tragische Fälle des plötzlichen Herztodes trotz kürzlich absolviertem Medical wird es leider trotzdem immer wieder geben.
vg
Christopher
PS: Weitere Quellenangaben erspare ich Euch, sind aber auf Nachfrage verfügbar.