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28. Oktober 2022: Von Sebastian Ruffer an Constantin Droste zu Vischering Bewertung: +22.00 [22]

Um die Menge des zu kontrollierenden Luftverkehrs übersichtlich und handhabbar zu machen, ist der Luftraum in einzelne Sektoren eingeteilt. Die Sektoren sind lateral und vertikal zueinander abgegrenzt und häufig in sich verschachtelt um unnötige Frequenzwechsel- und Koordinationsaufwände zu vermeiden. Bei Personalknappheit können Sektoren auch zusammengelegt werden, was die Gesamtkapazität senkt weil die Übersichtlichkeit ein Stück weit verloren geht. Wenn dieses, an sich gute und effiziente, System an seine Grenzen kommt wird geslottet um Überlastsituationen bei den Lotsen im Sinne der Sicherheit zu vermeiden. Soweit ist das wahrscheinlich allen Lesern schon bekannt.

Aber wie funktioniert das genau?

Jeder, und zwar wirklich ausnahmslos jeder, IFR-Flugplan in Europa läuft über den Network Manager (NM, früher hieß er mal CFMU) in Brüssel. Bestimmte Flügpläne sind ATFM-exempt und werden nicht geslottet. Das sind alle Flüge die in irgendeiner Art und Weise mit einem medizinischen oder humanitären Zweck zusammenhängen oder z.B. auch Flüge von Staatsoberhäuptern und Militär. Für die meisten Leser dieses Forums dürfte das eher irrelevant sein. Der NM überwacht und prognostiziert anhand der Flugpläne permanent die Verkehrslast der einzelnen Sektoren. In den lokalen Area Control Centern sitzt jeweils ein Flow Management Specialist, der die Daten des NM mit lokalen Daten (Wetter, Personalsituation, ggf. Einschränkungen technischer Systeme) ergänzt und rechtzeitig vor dem Erreichen kritischer Werte den Supervisor des jeweiligen ACC informiert. Dieser entscheidet dann über Air Traffic Flow Management (ATFM) Maßnahmen und veranlasst diese beim NM. Jetzt werden für einen festgelegten Zeitraum Slots vergeben. Das macht in erster Linie der Computer. Der Mensch kann in den Prozess eingreifen, darf das aber nur unter eng definierten Bedingungen, in erster Linie um "Günstlingswirtschaft" zu vermeiden.

Ich habe einen IFR-Flugplan in FL60 aufgegeben von Ganderkesee (EDWQ) nach Kassel (EDVK)mit EOBT 1500. Für diesen Flugplan bekam ich einen Slot mit CTOT 1530. Typische Laienfrage: Warum bekommst Du einen Slot? In Kassel fliegt doch gar nichts. Und in FL60 sowieso fast kein IFR. Es geht auch nicht um die Flughöhe oder nur um die Destination. Der NM betrachtet natürlich den gesamten Weg. Ich durchfliege dabei drei Sektoren (Friesland FRI, Hannover Approach HANA und Harz HRZ). FRI und HANA sind aufgrund der angespannten Personalsituation häufig der Flaschenhals. Der FRI-Sektor reicht von GND bis FL245, HANA weiß ich gerade nicht und HRZ bis FL155. Da kann es durchaus sein, dass ich in FL60 alleine unterwegs bin und oberhalb z.B. FL160 boxt der Papst im Kettenhemd. Da mag der Slot dann albern erscheinen, aber der Lotse muss ja zwischendurch auch mal auf mich schauen um z.B. Traffic Info zu geben oder einen Frequenzwechsel anzuweisen. Der Slot kann durch eine oder mehrere (also in mehreren Sektoren) ATFM-Maßnahmen begründet sein. Es ist für Flieger ab Norddeutschland Richtung Mittelmeer im Sommer nicht ungewöhnlich, dass unterwegs fünf bis sechs Sektoren gesteuert werden.

Was passiert jetzt noch? Das System ist hochdynamisch und ständiger Veränderung unterworfen. Irgendwo hat ein Flieger gerade seinen Slot verpasst und es wird dadurch etwas weniger voll in einem bestimmten Sektor. Der NM dreht das Glücksrad und schwupps hat irgendwer Glück und rutscht nach vorne. Der andere Flieger schickt eine Delay Message mit einer neuen EOBT und muss sich quasi wieder hinten anstellen. Jetzt cancelt aber wieder ein anderer Flieger wegen technical problems seinen Flugplan und wieder wird neu gerechnet und mit Glück rutscht der andere Flieger auch wieder ein Stück nach vorne. Gleichzeitig rutscht in Kassel ein Flieger ohne Fahrwerk über die Piste und der Flughafen wird geschlossen. Jetzt wird mein Flugplan erst einmal suspended und ich muss bis ultimo warten. Der Flughafen ist eine Stunde später wieder offen und ich bekomme einen neuen Slot. Ich sitze die ganze Zeit im Flieger und schicke eine Ready Message in der Hoffnung auf einen besseren Slot. Mittlerweile hat sich die Lage in den durchflogenen Sektoren soweit entspannt, dass der Supervisor beschließt die ATFM-Maßnahmen komplett aufzuheben. Der Slot wird wie su dem Nichts gecancelt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Hintergrundprozesse sind äußerst vielfältig und komplex und in einem Textbeitrag auch nur begrenzt darstellbar. Wer sich wirklich dafür interessiert sollte bei der DFS mal anfragen, wann der FMP in einem nahegelgenen ACC mal Zeit hat das Ganze fachlich fundiert zu erklären. Ich bin auch kein wirklicher Experte dafür, ich muss mich nur im Tower und im Cockpit mit den Auswirkungen beschäftigen.

28. Oktober 2022: Von Charlie_ 22 an Sebastian Ruffer

Super erklärt – und geschrieben!

28. Oktober 2022: Von Name steht im Profil an Sebastian Ruffer

Danke, super erklärt (gerade engesichts der Aussage du wärst "kein Experte"). Das erklärt das gefühlte Chaos.

28. Oktober 2022: Von Tobias Rad an Sebastian Ruffer Bewertung: +1.00 [1]
Einzige Anmerkung, das Glücksrad bei NM ist, man sollte es nicht glauben auch ein deterministischer Algorithmus bei dem bezogen auf die Reihenfolge first come, first serve angewandt wird. Dabei kommt aber leider weder ein globales Optimum, noch gerecht verteilte Verspätung heraus.

4 Beiträge Seite 1 von 1

 

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