Ausgerechnet im Winter: Alle IFR-Verfahren zurückgezogen. Warum? |
In Straubing/EDMS war die Fliegerwelt in den letzten 20 Jahren weitgehend in Ordnung. Der Platz in Niederbayern ist Heimat mehrerer hochkarätiger Luftfahrtbetriebe und eines starken Luftsportvereins. Über eine Kommunale GmbH wird der Flugplatz praxisorientiert gemanagt. Die Personen und Gruppen, die das größte Interesse am Fortbestand des Flugplatzes haben, sind auch wirtschaftlich und juristisch für dessen Betrieb verantwortlich. Keine chinesischen Fake-Unternehmer und keine Hobby-Investoren, die auf der Piste ihren Traum vom Airline-Verkehr verwirklichen wollen. Einfach eine Handvoll mittelständischer Betriebe, die in der Region viele gut bezahlte Arbeitsplätze generieren und die einfach nur in Ruhe weiterarbeiten wollen – und eine Region, die das weiß!
Um erreichbar zu sein, hatte der Platz auch ein IFR-Verfahren. Als einer der ersten Plätze in Deutschland führte Straubing vor mehr als 20 Jahren einen damals noch verpönten GPS-Anflug ein. Inklusive mehrerer RNAV SIDs. Bei richtig dickem Nebel im Donautal hilft zwar auch der nichts mehr, aber für die meisten normalen Schlechtwetterlagen ist der RNAV (GPS) Rwy 27 eine enorme Hilfe, um sicher in EDMS anzukommen.
Wer im November allerdings nach Straubing fliegen wollte, der fand ein ungewöhnliches NOTAM für den Platz vor:
„ALL IFR PROCEDURES SUSPENDED“
und zusätzlich:
„AFIS NOT AVAILABLE“
Was war passiert? Die IFR-Verfahren in Straubing sind komplett GPS basiert. Es gibt kein NDB oder DME, das für die Verfahren genutzt würde. Ist den Niederbayern also der Himmel auf den Kopf gefallen? Machen die GPS-Satelliten seit Neuestem einen Bogen um die Region?
So ähnlich. Die Ursachen liegen allerdings nicht im Weltraum, sondern sehr viel näher. Die deutsche Bürokratie hat zugeschlagen. Im Januar 2021 lief die Übergangsfrist der EASA für die AFIS-Stellen (Aerodrome Flight Information Service) in Europa aus. Seitdem gelten die europäischen Regeln ungebremst für die unkontrollierten Plätze in Europa, die IFR-Verkehr anbieten möchten. Denn eine AFIS-Stelle ist in Deutschland zurzeit noch notwendig für IFR-Verfahren1.
BAF-Audit mit Folgen
Das zuständige BAF begann also, die Plätze bezüglich der Einhaltung der Regeln zu auditieren. Aus dem Ministerium (BMVD) hieß es erstmal: „Keine Panik – Wir sehen das als Aufbauhilfe für die Plätze.“
Jedem auch nur halbwegs mit Compliance befassten Menschen ist klar: Wenn eine höchst diverse Organisationsstruktur erstmals nach neuen Regeln auditiert wird, kommt eine Menge Arbeit (= Findings) zum Vorschein. Wer jetzt mit der Brechstange ans Werk geht, der hat bald keine Struktur mehr, die er auditieren kann. Insofern war die Ansage aus dem Ministerium ebenso normal wie vernünftig.
Das entsprechende Memo ist aber wohl nicht ganz bis zum BAF durchgedrungen. Nunja, es gab natürlich einige Missstände, da halfen keine noch so weichen Samthandschuhe. Beispiel: Wenn man AFISOs (AFIS-Mitarbeiter) vorfindet, deren Lizenz schon lange abgelaufen ist, und beim Betreiber auch wenig Verständnis antrifft, dass AFISO-Lizenzen (wie so ziemlich alles in der Luftfahrt!) erneuert werden müssen, dann bleibt der Behörde halt kaum noch etwas anderes übrig, als den AFIS-Dienst und damit auch den IFR-Betrieb mittels Findings de-facto zuzusperren. Das sind nun mal die Spielregeln. Das kennt jeder aus AOC, ATO oder CAMO. Nichts Derartiges hat sich allerdings in Straubing zugetragen. In Niederbayern hatte man den Laden in Ordnung – dachte man.
Temperaturmessung und bürokratische Fieberkurve
Das enorme Sicherheitsrisiko, das in Straubing den sofortigen Stopp aller IFR-Verfahren notwendig machte, war ein Temperatursensor. AFIS-Stationen müssen eine zertifizierte Wetterbeobachtung aufbieten. Das ist noch halbwegs nachvollziehbar. Im einfachsten Fall sind das nur die Mindestparameter Luftdruck, Temperatur und Wind.
In einer normalen Welt ist das leicht lösbar. Man kauft eine entsprechende Wetterstation, stellt sie halbwegs sinnvoll auf und gut. In der Luftfahrt muss die Wetterstation natürlich zertifiziert sein. Und in Europa natürlich ganz speziell. Klar. Wir wollen das ja so.
Die europäischen Regeln zum AFIS schreiben also eine nach EU-Regeln zugelassene Wetterstation vor. Soweit normal und nicht zu beanstanden. Combitech in Schweden und Vaisala aus Finnland sind typische Anbieter solcher Anlagen. Und genau das hatte man in Straubing getan. Eine nach EU-Regeln zertifizierte Station von Vaisala versieht dort seit vielen Jahren ihren Dienst.
Da hatte man allerdings die Rechnung ohne den DWD gemacht. Denn in Deutschland darf nur der DWD Wetterstationen zertifizieren und fortlaufend nachprüfen. Und der DWD ist per Gesetz ein Monopolist.
Man kann mit der Wetterstation nicht zum TÜV und auch nicht zur DEKRA oder einer anderen Stelle, die Eichungen und technische Nachprüfungen vornimmt. Geht nicht. Kalibrieren kann zwar der Hersteller oder ein Labor, aber die „freigebende Vergleichsmessung am Flugplatz“? Das kann nur der DWD. So will es das Bundesgesetz. Und der DWD hat ganz eigene Vorstellungen, was eine zertifizierte Wetterstation ist. Lange nicht alle in Europa zugelassenen Temperatursensoren beispielsweise sind dem Monopolisten genehm. Der DWD hat eigene Messprotokolle und was da nicht drin steht, wird auch nicht zertifiziert – EU-Recht hin oder her.
Und genau da hat‘s die Straubinger erwischt! Die genutzte Vaisala-Wetterstation war zwar EU-zugelassen (um der EU-Vorschrift zu genügen), aber nicht vom DWD! Treffer!!
In einer halbwegs pragmatischen Struktur würde man das beim Audit feststellen, schlimmstenfalls gemeinsam mit den Augen rollen, ein Level 2 oder 3 Finding daraus machen und mit einem Seufzer erklären: „Okay, bis wir nächstes Jahr wiederkommen, habt Ihr den dämlichen DWD-Sensor bitte eingebaut. Schickt mir in den nächsten Wochen die Bestellbestätigung, dann mach ich das Finding zu ... Was gibt‘s zum Mittagessen?“
Aber – wir haben es hier ja mit dem BAF zu tun. Das BAF sagt: „Ihr habt keine zertifizierte Wetterstation, das ist Level 1, damit habt Ihr kein AFIS“, und empfiehlt dem Platzhalter dringend „sofort“ und „aus Sicherheitsgründen“ die IFR-Verfahren zurückzuziehen.
Der Platzhalter muss dieser Empfehlung dann in der Praxis folgen, sonst steht er mit eineinhalb Beinen im Gefängnis.
Fazit
Deutsche Behörden in Hochform: Bei diesem Wetter darf man Straubing jetzt VFR anfliegen oder am besten gar nicht mehr landen. Da haben BAF, DWD und BMVD aber mächtig was für die Sicherheit getan! |
© Avionik Straubing |
Wir können in der Redaktion von Pilot und Flugzeug inzwischen ein ganzes Buch füllen mit den vielen Wegen, auf denen das DWD-Monopol den Luftverkehr behindert. Diese reichen von den Wetterbeobachtern über fehlende Software-Schnittstellen zur METAR-Weiterleitung (die wurden eine Zeitlang mit der Hand abgetippt und dann per E-Mail verschickt) bis zu den deutschen Spezial-Temperatursensoren. Diese Aufgaben per Gesetz einem Monopolisten wie dem DWD zuzuschreiben ist wirtschaftliche Selbstverstümmelung eines Landes. Wir überlassen privaten Organisationen zwar die Überwachung der Lufttüchtigkeit von Verkehrsflugzeugen – aber die heilige Vergleichsmessung eines Temperatursensors am Flugplatz? Da hört‘s auf! Das kann nur der staatliche DWD!
Es ist aber nicht nur der DWD. Es ist das Zusammenspiel der Behörden, bei dem jeder „nur seine Pflicht“ tut. Der DWD hat die Aufgabe, die Wetterstationen zu prüfen, stellt fest, dass der Temperatursensor nicht auf der hauseigenen Zulassungsliste steht und verweigert – streng nach Vorschrift – das Testat. Das BAF hat die Aufgabe, die AFIS-Stelle zu prüfen, stellt fest, dass es keine zertifizierte Wetterstation gibt und verweigert – streng nach Vorschrift – das Testat. Und der Flugplatz stellt fest, dass er keine AFIS-Stelle mehr hat und muss – streng nach Vorschrift – die IFR-Verfahren streichen.
Wer in die Röhre guckt, das sind die Nutzer, da der Platz nur noch VFR-angeflogen werden kann. DWD und BAF können sich also wirklich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Mitten in der Schlechtwettersaison kann einer der wichtigsten GA-Plätze in Europa nur noch im Sichtflug erreicht werden. Weil „nur“ ein EU-zertifizierter Temperatursensor in der Wetterstation werkelt. Da haben beide Behörden die Sicherheit in Luftverkehr wirklich enorm vorangebracht – Glückwunsch!
Was fehlt, ist jemand, der das Gesamtbild im Auge hat. Denn vielleicht ist es im Sinne der Sicherheit eben nicht die beste Lösung, die IFR-Verfahren dicht zu machen, nur weil der DWD ausschließlich nationale Temperatursensoren kennt. Aber aus dem Ministerium kommen leider nur beruhigende Worte von der „Aufbauhilfe“ statt eines gepfefferten Erlasses an die untergeordneten Behörden mit dem Inhalt (vereinfacht ausgedrückt): „Leute, lasst den Quatsch!“
Von behördlicher „Aufbauhilfe“ kann in Straubing jedenfalls keine Rede sein. Da wurde gerade kräftig abgebaut.
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1) Die EASA lässt durchaus Ausnahmen zu, und das BMVD hat auch einen ordentlichen Kriterienkatalog dazu erarbeitet, durch die Änderung der FSAAKV im letzten Jahr hängt staatliche Förderung allerdings an der AFIS, weshalb die Plätze nicht gerade scharf darauf sind ohne AFIS auszukommen.