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Hallo Herr Senn,
betreffend der Katerstimmung in den neuen Mitgliedländern kann ich das nur bestätigen, allerdings stammen meine Eindrücke aus Bulgarien, wo aber mehr oder weniger ähnliche Umstände herrschen. Mich wundert der Rückschritt dahingehend überhaupt nicht, denn die normalen Bürger des Landes sowie die Pensionäre haben seit der EU Mitgliedschaft massiv verloren und Lebensqualität eingebüsst.
Die generelle Meinung im Volk dort ist extrem frustriert und negativ. Seit dem EU Beitritt hat sich der Energiepreis (nur als Beispiel) vervielfacht, dies nach dem aufgezwungenen Aus für faktisch die gesamte Bulgarische Stromproduktion und teurem EU Importstrom (BG hatte zuvor Strom exportiert!). Das Resultat davon ist eine sprungafter Anstieg der Armut, Leute die sich weder Strom noch Heizung leisten können. Verbunden mit ebenso sprunghaftem Anstieg von Lebensmittelpreisen und einem Durchschnittseinkommen von 150-300 Euros im Monat, von denen man vorher leben konnte, jetzt aber nicht mehr, würde bei einer heutigen Volksabstimmung vermutlich ein 80-90% Teil der Bevölkerung für den sofortigen Austritt und Wiederherstellung der vorherigen Zustände stimmen.
Aus Aviaktikreisen hört man extremen Unmut darüber, dass wegen dem EU Beitritt ein Grossteil der BG Luftfahrt stillgelegt werden musste oder ins Ausland umgeflaggt (Ukraine), weil unter EASA an eine Fortführung des Betriebs nicht mehr zu denken war.
Hört man sich im Volk um, wachsen Stimmen, die verklärt und fanatisch über das Paradies unter den Kommunisten schwärmen und die eine Abkehr von der EU und Zuwendung zu Russland fordern. "Damals ging es und gut, keiner musste hungern, jedes Jahr gabe es Ferien am Meer" sind so die Sprüche. Aber man fühlt, dass es diesen Leuten ernst ist.
Ich sehe in den Osteuropäischen Ländern hier daher eine grosse Gefahr, dass extremistische oder populistische Gruppierungen (siehe Ungarn) massiven Zulauf bekommen können und unter Umständen die EU ein Riesenproblem bekommt. Sollten sich diese Länder intern zusammenschliessen, könnte es sogar zu einer Zerreissprobe kommen.
Es ist immer brandgefährlich wenn ein derartig einschneidenes Ereignis wie eine EU Mitgliedschaft dem Volk zunächst als Allheilmittel aller Probleme vorgeführt wird und für den normalen Joe Mittelstand und die Unterschicht nach dem Eintreffen dieses Allheilmittels die Welt zusammenbricht. Ich kann die Leute dort daher sehr gut verstehen und denke, ja, es war zu früh aber nicht von Seiten der EU her, die ihre Einflussphäre vergrössern wollte, sondern primär von den Staaten selber her, die mit dem EU Beitritt vor allem Fördergelder sahen, die viele besagten Politker umgehend einsackten und verschwinden liessen, dem Volk aber das Blaue vom Himmel hinunter versprachen. Trifft das dann nicht ein, oder gerät die Unter und Mittelschicht danach erst richtig vom Regen in die Traufe, kracht es halt sehr schnell.
In wie weit allerdings in BG auf den Airports ähnliche Zustände herrschen kann ich nicht sagen. Es gibt einige aktive Kleinflugplätze, wo sehr vernünftige Kostenstrukturen gelten, Avgas ist generell teuer (2.80 oder mehr) und was ich höre, sind die Tarife auf den Zollflugplätzen recht hoch. Eine derartige Abzocke wie hier geschildert habe ich nicht gehört bisher.
Beste Grüsse
Urs Wildermuth
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oder gerät die Unter und Mittelschicht danach erst richtig vom Regen in die Traufe
Auch in der Schweiz ist es Mode, ein EU-Bashing wie beschrieben zu betreiben. Mangels Fakten wird in Polemik gemacht. Gerade für Bulgarien und Rumänien ist die EU ein warmer Geldregen, Wenn sie morgen diesen angeblich so EU-unwilligen Ländern Tschüss sagen würde, dann wäre das Geschrei aber 100 mal so groß wie das Gejammer heute. Und warum will denn die Türkei unbedingt? Sicher nicht zum Verbreiten des Islams - die Ayatollahs zum Beispiel haben die meisten kein gutes Wort übrig für die EU.
Aber wie das so ist: Wenn man sich dann trotzdem ein wenig anstrengen müsste, ist plötzlich schon das zuviel, sprich - es herrscht ein Jammern auf hohem Niveau. Gerade von Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Polen, aber auch Spanien, Portugal oder Irland kann ich solches Getöne einfach nicht mehr hören, denn es beschreibt die effektive Lage völlig verkehrt.
Aber wie es so ist, der gemeinsame Markt ist gleichzeitig Chance, aber auch Anstrengung. Und Letzteres wird halt in vielen Ländern nicht gern gesehen.
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Nur ein ganz kurzer Hinweis zu Energie und kommerzieller Luftfahrt in Bulgarien - die Abschaltung der veraltetetn Kernkraftwerksblöcke war eine Bedingung für die Aufnahme, genauso natürlich die Anerkennung der Luftfahrtstandards - ich glaube, hiervon (und besonders von dem Verzicht auf dieses rostende KKW) werden die Bulgaren durchaus etwas haben, auch wenn sich das nicht immer sofort in barer Münze auszahlt. Es ist aber absolut richtig festzustellen, dass von der Mitgliedschaft zunächst nur eine kleine "Elite" (ab Studenten aufwärts) profitiert durch Reisefreiheit, bessere Bildungs- und Arbeitschancen etc. Andererseits zeigen Erfahrungen mit Ländern wie Spanien ode Portugal, dass es durchaus zu einem Modernisierungsschub kommen kann, der die gesamte Bevölkerung erfasst...aber ich bin da auch eher pessimistisch.
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Hallo Herr Korndörffer
>>Nur ein ganz kurzer Hinweis zu Energie und kommerzieller Luftfahrt in Bulgarien - die Abschaltung der veraltetetn Kernkraftwerksblöcke war eine Bedingung für die Aufnahme ...
>>(und besonders von dem Verzicht auf dieses rostende KKW) werden die Bulgaren durchaus etwas haben, auch wenn sich das nicht immer sofort in barer Münze auszahlt.
Richtig. Die EU kann solche Forderungen natürlich stellen, es zeigt aber wie verzweifelt die damalige Regierung an die Fördergelder wollte, dass sie dabei zugestimmt haben. Die Reaktion hätte sein müssen, ok, zuerst Ersatz und dann abschalten. Denn soooo schlecht wie man da seitens der EU tat, waren die Blöcke nicht, 2-3 Jahre hätten die's noch gemacht. Die Tatsache ist aber heute, dass 2/3 der Bulgarischen Bevölkerung ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen können und daher im Dunklen sitzen oder/und mit Holz mit irgendwelchen Höllenmaschinen heizen. Ob das der Umwelt mehr tut?
>>Genauso natürlich die Anerkennung der Luftfahrtstandards -
Interessant scheint mir hier, dass gerade aus der Aviatikbranche solche Aussagen kommen, wo wir hier ja selber unter der Regulationswut stöhnen. Ich behaupte klar, dass die BG Luftfahrt nicht unsicherer war als heute, sie ist heute nur bürokratischer, allerdings wanderte viel Kapital und diverse Gesellschaften gezwungenermasssen in die Ukraine ab. Ich flog selber in BG, Antonov 2, und ALLE unsere Maschinen stehen heute in Dobrich zum Verkauf ausserhalb der EU. Die Flieger waren nicht schlechter wie andere, aber der Aufwand sie unter EASA zu betreiben war schlicht nicht tragbar.
>>Es ist aber absolut richtig festzustellen, dass von der Mitgliedschaft zunächst nur eine kleine "Elite" (ab Studenten aufwärts) profitiert durch Reisefreiheit, bessere Bildungs- und Arbeitschancen etc. Andererseits zeigen Erfahrungen mit Ländern wie Spanien ode Portugal, dass es durchaus zu einem Modernisierungsschub kommen kann, der die gesamte Bevölkerung erfasst...aber ich bin da auch eher pessimistisch.
Profitiert haben vor allem die Politiker der ehemaligen pro-europäischen Sozialistischen Regierung, die den angeblichen Geldsegen sehr schnell absorbiert haben. Vorsichtig gerechnet hat vielleicht ein Drittel profitiert, legal oder illegal, der Rest jedoch muss mit gleicher Kaufkraft mit Preisen auf EU Niveau und einer Mehrwehrtssteuer von 22% leben. Das können viele nicht, vor allem die Rentner und Arbeiter. Ich würde einschätzen, dass heute gut 60% unter dem Armutsniveau leben, wobei das fliessend ist, da kaum jemand das erfasst.
Ich gebe daran keineswegs der EU die Schuld, ausser vielleicht dass sie die Aufnahme ebenso dringend wollte wie die damalige Regierung und dabei die Konsequenzen falsch eingeschätzt haben, sondern eher den damaligen Kräften im Land, die ihren eigenen Vorteil über den des Landes gestellt hatten. Die Quittung haben sie gekriegt, sie wurden abgewählt und praktisch alle stehen heute in Strafverfahren wegen Korruption.
Ich denke, in Rumänien wird es nicht anderst sein.
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Hallo Herr Sutter,
>>Auch in der Schweiz ist es Mode, ein EU-Bashing wie beschrieben zu betreiben. Mangels Fakten wird in Polemik gemacht.
Fakten? Wann waren Sie zuletzt in Bulgarien? Ich bin seit 15 Jahren regelmässig dort und sehe, was dort abgeht, nicht was irgendwelche Politiker zusammenlügen sondern was die Leute selber zu erdulden haben. Und das ist ganz klar eine MASSIVE Verschlechterung der Lebensumstände in den letzten 2 Jahren.
EU Bashing? Behaupte ich, die EU sei Schuld daran? Keineswegs. Die Politiker dort wussten genau was auf sie zukommt, haben aber das Volk angelogen weil sie selber profitieren wollten und dies auch schamlos getan haben.
>>Gerade für Bulgarien und Rumänien ist die EU ein warmer Geldregen
Das typische Totschlagargument, passt aber nicht. Die Fördergelder landeten in den Taschen der damaligen Regierung. Weder die versprochenen Strassen noch sonstige Infrastruktur wurde realisiert, das Geld ist weg. Die jetztige Regierung versucht das langsam aufzufangen und die korrupten der ehemaligen zu bestrafen, aber das ist eine Sisiphusarbeit.
>>Wenn sie morgen diesen angeblich so EU-unwilligen Ländern Tschüss sagen würde, dann wäre das Geschrei aber 100 mal so groß wie das Gejammer heute.
Wohl deswegen, weil man nicht so einfach wieder auf den Status quo ante zurück kann. Das ist heute auch keine Option mehr. Die Leute waren zuvor auch total enthusiastisch, sehen aber heute einfach die Realität. Das ist nicht nur der Fehler der EU, sondern vor allem der, der damaligen Regierung.
>>Und warum will denn die Türkei unbedingt? Sicher nicht zum Verbreiten des Islams - die Ayatollahs zum Beispiel haben die meisten kein gutes Wort übrig für die EU.
Genau deswegen. In der Türkei herrscht ein Kampf zwischen den Sekulären und Religiösen Kräften. Die Religiösen wollen nicht in die EU, die Sekulären sehen in der EU abgesehen von der Möglichkeit der Reise und Arbeitsfreiheit vor allem einen Schutz vor den Islamisten. Ob das aufgeht, ist fraglich, schliesslich sind viele dieser Islamisten heute bereits im Ausland tätig. Die EU ihrerseits möchte die Türkei lieber in der EU als mit dem Iran im Bund, was nachvollziehbar ist.
>>Aber wie das so ist: Wenn man sich dann trotzdem ein wenig anstrengen müsste, ist plötzlich schon das zuviel, sprich - es herrscht ein Jammern auf hohem Niveau. Gerade von Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Polen, aber auch Spanien, Portugal oder Irland kann ich solches Getöne einfach nicht mehr hören, denn es beschreibt die effektive Lage völlig verkehrt.
Die alle in einen Topf zu werfen ist viel zu einfach. Abgesehen davon geht es gar nicht darum. Herr Senn machte die Aussage, dass in Rumänien der Fortschritt eher Rückläufig ist. Darauf bezieht sich meine Antwort, nicht auf die alten EU Staaten, die sich seit Jahren einfach auf die EU als Geldquelle verlassen haben.
Tatsache ist aber, dass extremistische Parteien in den Ostländern immer mehr Zulauf kriegen, siehe Ungarn. In Bulgarien steht heute eine Mitte-Rechtsregierung unter einer neuen Partei (GERB) an der Macht, die mit allen Mitteln versucht, die Korruption zu bekämpfen und aus der Situation das beste zu machen. Borissov weiss genau, dass er ohne massive Erfolge keine Chance hat, wiedergewählt zu werden und MUSS Erfolge zeigen, er will es auch. Er überrascht damit positiv. Und es wird auch mit der Zeit klappen, nur braucht das viel Arbeit und seitens der EU mehr als Fördergelder im Giesskannenprinzip, sondern vor allem Verständnis für die lokalen Gegebenheiten. Die wirtschaftliche Lebensader eines Landes zu durchschneiden, wie das in Bulgarien mit der Kozlodui Erpressung geschehen ist, ist dazu allerdings wenig geeignet. Hier hätte die damalige Regierung besser getan, notfalls den Beitritt aufzuschieben oder auf einer besseren Regelung zu bestehen wie etwa die Zusage für subventionierten Strom bis die neuen Reaktoren in Belene online kommen. Aber denen war leider die Aussicht auf den Selbstbedienungsladen Fördergelder viel wichtiger.
Beste Grüsse
Urs Wildermuth
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Hallo Herr Wildermuth,
sehe ich auch im Prinzip alles so, ich denke aber, dass man berücksichtigen muss, dass es im EU-Aufnahmeprozess ein gewisses window of opportunity gibt, dass genutzt werden will - oder auch nicht. Rückblickend betrachtet - wäre der Beitritt Rumäniens und Bulgariens nicht genau zu diesem Zeitpunkt erfolgt, dann wären beide heute noch keine Mitglieder und ihre Perspektive sehr schlecht. Zunächst kam das Scheitern des Verfassungsvertrages, dann die Finanzkrise "dazwischen". Deshalb gibt es oft sowohl von Seiten der EU, als auch der Beitrittsländer einen ungeheuren Druck, Dinge möglich zu machen. Das ist vielleicht nicht gut und wünschenswert, aber leider eine politische Realität...
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