Eine Woche Corona-Praxis im Flugdienst eröffnen ganz neue Perspektiven. |
© O. Seyer |
Die Kollegen hatten mich gewarnt. Mein erster Dienst auf dem Planeten Corona würde eine neue Erfahrung werden. Hauptproblem sei der Ground-Transport an den Flughäfen. Keine Taxis. Nirgendwo.
Hauptproblem für mich war zuallererst einmal, vom Wohnort Österreich zum Arbeitsort Karlsruhe zu gelangen und auch wieder zurück – und das bitte, ohne 14 Tage in Quarantäne zu müssen. Zwar gibt es eine Pendlerregelung, die bezog sich nach den ersten Verordnungstexten allerdings nicht auf den Luftweg der Einreise nach Österreich. Als aktive Ambulanz-Crew darf ich rein. Klar. Aber als Crewmember nach dem Dienst, also Proceeding mit der Bonnie von Karlsruhe nach Graz? Nee, das ging nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft gar nicht.
Nun habe ich leider kein Auto, mit dem man die mehr als 800 km nach Karlsruhe gefahrlos zurücklegen kann, sondern besitze lediglich eine kurzatmige Elektrokarre, die bei der Reichweite etwa so lügt wie ein TDI beim Stickoxid. Daher empfahl die Bezirkshauptmannschaft, ich solle doch mit dem Zug fahren. Das sei zulässig. Ich wusste an dieser Stelle nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Acht Stunden Zugfahrt sind besser als zwei Stunden allein im eigenen Flieger? Hat hier jemand „Infektionsrisiko“ gesagt?
Zum Glück konnte über einen Kontakt der AOPA Austria eine Entscheidung auf höherer – deutlich höherer – Ebene herbeigeführt werden, die ein Proceeding, also eine An- und Abreise der Crew zum Einsatzort, ermöglichte. Sogar auf dem Luftweg!
Ich bekam also den ersten Passierschein meines Lebens.
Vorgewarnt, dass weder Ground-Transport noch Mietwagen an der Homebase in EDSB verfügbar seien, hatte ich das Fahrrad in die Bonnie gefaltet und mitgenommen. Die acht Kilometer zwischen dem Hangar und der Crew-Unterkunft lassen sich flott mit dem Velo zurücklegen und gut für die Gesundheit isses auch noch! What‘s not to like?
Mit Passierschein, Sondergenehmigung und Fahrrad am GAT in LOWG wäre die Bezeichnung „bunter Hund“ wohl noch stark übertrieben. Ich hoffte, das ungewöhnliche Setup würde wenigstens dazu führen, dass man mich bei der Rückkehr in einigen Tagen wiedererkennt und dass ich mit der Erklärung der Umstände nicht nochmal von vorn beginnen müsste. Nach sechs Wochen beinahe ununterbrochenem Zwangsaufenthalt in der Wohnung war der Start bei wunderschönem Wetter in Richtung Alpen dann das reine Vergnügen. Ich habe mich selten so am Fliegen gefreut wie jetzt, wo es großteils unmöglich oder wenig sinnvoll ist.
Der Autor zufrieden: Endlich wieder fliegen. Mit Dienst-Fahrrad ausgerüstet geht es zur Arbeit nach EDSB. Das hat viel Vorbereitung erfordert und ich habe gegenüber meinem letzten Dienst vor Corona den Eindruck, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. |
Auffällig ist natürlich die gähnende Leere auf den Frequenzen. Von München und Langen wird man praktisch mit Handschlag auf der Frequenz begrüßt und auch oft mit einem netten Spruch wieder verabschiedet.
Nach der Landung in Karlsruhe musste ich die Bundespolizei rufen. Auch die deutsche Seite hat inzwischen Quarantäne-Regeln aufgestellt. Ich entkomme der Isolation nur, weil ich nur kurz in Deutschland bleibe und als Pilot einer erklärtermaßen wichtigen Tätigkeit nachgehe. Statt Quarantäne bekomme ich eine gesundheitliche Inaugenscheinnahme noch auf dem Vorfeld. Das heißt wirklich so!
Ein – übrigens sehr freundlicher – Bundespolizist überprüft mittels Prüfblick, ob ich gesund bin. Machen Ärzte dafür jetzt auch Grenzkontrollen? Egal. Es gibt eben nichts, was ein deutscher Beamte nicht kann! Ich bin offenbar hinreichend gesund und werde in das Land, dessen Staatsbürgerschaft ich innehabe, auch eingelassen. Immerhin.
Es folgen ein paar Übungsflüge. Eines der eingesetzten Muster bin ich seit mehr als 90 Tagen nicht mehr geflogen, da schaden ein paar Starts und Landungen nicht, bevor es auf einen Einsatz geht. Alles, wirklich alles erfordert eine Sondergenehmigung. Auch die drei Starts und Landungen. Zum Glück haben wir ein gutes Ops-Office, die arbeiten da seit Tagen dran.
Der erste Einsatz führt zu einem kleinen Regionalflughafen im Westen Deutschlands. Es ist strahlendes Wetter. Wochenende. Traumhaft zum Segelfliegen. Über den Mittelgebirgen allerdings ist kein Flugzeug zu sehen oder zu hören. Der Flughafen, den wir anfliegen, dient vorrangig als Parkplatz für eingemottete Linienmaschinen einer großen Billig-Airline. Ab und zu geht eine Frachtmaschine raus. Ansonsten: Totenstille.
Es sind die Kleinigkeiten, die jetzt ärgern: Natürlich ist im Terminal alles zu. Kein Kaffee und kein Brötchen weit und breit zu bekommen. Nicht nur für uns, auch für unsere Ärzte, für die wir versuchen, wo immer möglich Catering zu organisieren, denn die haben den sehr viel längeren Tag vor sich als wir.
Aber auf der Kaffeekanne in der Küche prangt ein großes Schild: „Eigentum Ops. Bitte nicht an Crews weitergeben.“ Also kein Kaffee. Muss das echt sein? Kann man zu Corona-Zeiten nicht mal die kleinste Ausnahme von der pingeligsten Regel machen? Offensichtlich nicht.
Am nächsten Tag muss ich für eine wichtige Trainingsmaßnahme nach Reichelsheim und mache meine Erfahrungen mit der eher unflexiblen PPR-Vergabe dort. Während wir um fünf Minuten feilschen, geht wohl meine Fantasie mit mir durch. Ich stelle mir folgendes Telefonat vor:
Pilot: „Ich würde gerne um 16.00 Uhr losfliegen, kann aber auch eine halbe Stunde später werden.“
Flugplatz: „Das ist überhaupt kein Problem. Wir haben im Moment ja Corona und wenig Verkehr – Sie wissen das ja – deshalb haben wir unseren Service stark reduzieren müssen um Kosten zu sparen. Zwischen 16.00 und 19.00 Uhr ist niemand auf dem Tower. Aber Sie können natürlich trotzdem abfliegen/landen. Wir haben ein Band laufen. Wenn Sie drei mal Klicken sagt das die Windrichtung und Stärke an. Wenn es ein Problem gibt, rufen Sie doch einfach die Tower-Nummer an, die ist weiterleitet. Den Platz kennen Sie ja gut. Ist das ok für Sie? “
Pilot: „Ja natürlich, das ist ganz fantastisch! Ich bin ganz positiv überrascht. Fliegen ohne Flugleiter? Bei uns in Deutschland?“
Flugplatz: „Ja, früher ging das gar nicht, aber aufgrund von Corona haben wir eine Ausnahmegenehmigung. Sonst könnten wir den Platz ja gar nicht offen halten für die vielen Rettungsflüge. Das Regierungspräsidium war hier super-kooperativ und hat sofort eingesehen, dass besondere Umstände auch besondere Maßnahmen erfordern. Bitte die Landegebühr dann einfach online auf unserer Webseite zahlen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Pilot: „Danke, nein. Alles klar!“
... ein Kollege bemerkt jetzt dass ich Abwesend bin und holt mich in die Realität zurück: „Hey Jan! Wir müssen das Paperwork fertig machen!“
Die ganze Hardware ist noch da, aber keine Menschen und keinerlei Aktivität. München am Abend ... |
© O. Seyer |
Der nächste Einsatz führt uns nach München und Frankfurt. Die beiden riesigen Verkehrsflughäfen sind zu Flugzeugfriedhöfen mutiert. Wir haben die Flughäfen komplett für uns. Es ist wie in einem Zombiefilm. Das ganze Material, alle Flugzeuge, Fahrzeuge etc. sind noch da. Aber keine Menschen. Keine Bewegungen auf den Rollflächen. Es ist einer der schlimmsten Eindrücke, die ich beim Fliegen je hatte. Ganz egal, wie persönlich nun der Service durch ATC ist und wie viele Freiheiten wir nun als einzige Kunden hier haben, von denen wir vorher nie zu träumen wagten. So darf es nicht sein. Dieser Zustand wird bitterste Folgen für die ganze Branche haben, das wird hier ganz offensichtlich.
In Frankfurt laufen wir wieder in unser Ground-Transport-Problem. Taxis gibt es keine, jedenfalls nicht hier auf der Südseite. Wir müssen aber ins Hotel. Aus dem Duty wurde unverhofft ein Split-Duty, das heißt, wir müssen ein paar Stunden in einem Hotel ablegen, sonst verstoßen wir gegen die Reglen zu den Flugdienstzeiten. Problem nur: Wir wissen nicht, wie lange. Im Normalfall haben wir genug Vorlauf, um rechtzeitig wieder am Flieger zu sein. Diesmal ist das nicht gewährleistet, weil es eben keine Taxis gibt!
Ob uns ausnahmsweise und wegen der besonderen Umstände der GAT-Mitarbeiter im Notfall im nur 6 km entfernten Hotel mit dem Crewbus wieder abholen kann? Nein. Keine Chance. Das ist nicht erlaubt. Auch nicht zu Corona-Zeiten. Wieder ein Punkt auf meiner So-kommen-wir-bestimmt-prima-aus-der-Krise-Liste. Hätte ich doch nur mein Fahrrad mitgenommen!
Das gleiche Problem haben wir später in der Woche auch noch an einem anderen großen Airport in Deutschland. Weder GAT noch Hotels sind in der Lage, in diesem außergewöhnlichen Fall irgendwie flexibel zu agieren: „Ich würde sie ja gerne schnell mit meinem Privatwagen fahren, aber das erlauben die Bestimmungen nicht.“ Wenn selbst in offensichtlichen Ausnahmesituationen wie dieser von solcherlei Gängelung keine Ausnahme gemacht werden kann, dann sehe ich ziemlich schwarz für den Wiederaufbau unserer Wirtschaft.
Fazit
Ich höre die Kollegen schon sagen: „Hör auf zu jammern, immerhin fliegst du noch!“ Und das stimmt. Im Unterschied zu so vielen Berufskollegen habe ich einen Job im Cockpit, den ich sehr gerne mache und der von der Krise absehbar nicht bedroht ist. Kein Grund zu jammern.
... und am nächsten Morgen. Wir haben den Flugplatz und den ganzen Sektor für uns. So schön das ist, die Folgen für die Branche werden brutal sein und uns noch sehr lange begleiten. |
Was mir aber Sorgen macht, das ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Alltag. Auf der einen Seite reden wir von der größten Wirtschaftskrise ever und von der größten Herausforderung im Land seit dem 2. Weltkrieg und auf der anderen Seite schaffen wir es nicht einmal, den Benutzerkreis der Firmen-Kaffeekanne – auch nur temporär – um eine Handvoll von Piloten zu erweitern, die woanders einfach nichts bekommen. Wo kämen wir denn da hin?
Dumme Regeln zur Nutzung des voll straßenzugelassenen Crew-Busses können auch dann nicht gedehnt werden, wenn es offensichtlich keine Taxis gibt und entweder Übermüdung der Crew oder der Verlust eines Organs droht.
Und vom Flugleiterzwang können wir schon gar keine Ausnahmen machen. Auch nicht für Leute die seit 20 Jahren am Platz fliegen und auch nicht wenn der Flugplatz sonst pleite geht oder der Rettungsdienst massiv beeinträchtigt wird. Die Kanzlerin sieht zwar die größte Herausforderung unserer Zeit, aber der Flugleiterzwang, der bleibt. Ohne Ausnahme. Wir leisten uns wirklich eine bemerkenswerte Abwägung unserer Rechtsgüter...
Klar ist: Niemand kann Wunder vollbringen im Moment und wir müssen alle unsere Gewohnheiten ändern und Kompromisse machen. Auch bei der Arbeit. Wenn es also keine Mietwagen gibt, dann geht‘s für 8 km auch mit dem Fahrrad – so what.
Es wäre aber sehr erfreulich, wenn wir uns gezwungenermaßen etwas mehr Flexibilität im Arbeitsalltag zurückholen könnten. Es ist ja nicht so, dass es im Moment keine gute Ausrede gäbe.