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29. Mai 2015: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an  Bewertung: +1.00 [1]

Moin,

dazu ein kurzes Beispiel:

nehmen wir an, wie haben einen (fiktiven!) Test S, der um im Thema zu bleiben, auf Selbstmordgefahr (daher S) testet. Dann hat er, wie jeder Test, (auch ein Laborwert oder ein Röntgenbild oder ein EKG etc.) zwei Fehlerarten:

Fehler 1. Art (falsch-positiv): die Wahrscheinlichkeit dafür ist bei unserem (fiktiven!) Test S sehr gering, nur 1/100. Also die Wahrscheinlichkeit, dass der Test bei einem Gesunden sagt, er sei selbstmordgefährdet, liegt bei nur 1:99. Das ist sehr, sehr viel besser als bei jedem real existierenden Testverfahren (einschließlich Laborwerte etc.)

Fehler 2. Art (falsch negativ): die Wahrscheinlichkeit, dafür ist bei unserem (fiktiven!) Test S so gut, dass sie gleich 0 ist. Das heißt, es kommt niemals vor, dass der Test S einen Selbstmordkandidaten für gesund hält. So einen guten Test gibt es in der Realität schon gar nicht.

Jetzt die Frage: zu Dir kommt Kandidat R. M. und wird getestet. Test S fällt positiv aus, sagt also, R. M. sei selbstmordgefährdet. Wie wahrscheinlich ist es, dass das auch so ist, dass also der Test S die korrekte Diagnose liefert? Würdest Du R. M. weiter fliegen lassen oder lieber nicht?

Ich sammle jetzt mal Antworten.

Viele Grüße

29. Mai 2015: Von Albert Paleczek an Hofrat Jürgen Hinrichs
Jeder deutsche Verwaltungsbeamte würde in diesem Fall die Flugerlaubnis einziehen. Sicherheit steht an erster Stelle. Das Risiko muß möglichst bei Null liegen. Und dem Beamten darf kein leisester Verdacht eines Fehlers unterstellbar sein ...
29. Mai 2015: Von  an Hofrat Jürgen Hinrichs Bewertung: +2.33 [3]
Die Frage ist doch wie man gesellschaftlich mit dem 1 Prozent falsch-positiven Personenkreis umgeht.

Zu Zeiten einer demokratischen Grundordnung mit dem Bewusstsein eigener Unvollkommenheit, zum Beispiel in der ehemaligen freiheitlich demokratischen Bonner Bundesrepublik bis ungefähr kurz nach der Wende, gab es einen Konsens diese Personen nicht gleich einzusperren. Nebeneffekt der Tatsache, dass man nicht jeden schrägen Typ gleich eingesperrt hat, war eben statistisch auch, dass ein paar echte Idioten frei herumlaufen durften (Ähnlichkeiten zu aktuellen oder vorherigen Politikern wären rein zufällig, auch wenn sie zu diesen Zeiten aufgewachsen sind).
Zu Zeiten einer faschistoiden, im Sinne von aktiv mit absolutem Machtanspruch unterdrückend, gestaltenden Herrschaft tendiert man dazu alle auch nur annäherungsweise verdächtigen Personenkreise zu bekämpfen und inhaftieren, siehe z.B. den wunderbaren Film Casablance mit seinem "cease the usual suspects". Unter dieser Grundstimmung sind die schlimmsten Verbrechen der Menschheit begangen worden und werden begangen werden. Die Frage ist nur wann und wo genau dies geschehen wird.

Solange wir allerdings nicht einmal die Unterscheidung zwischen Security und Safety in unserer Sprache mental verankert haben, wird es an der Stelle immer schwer bleiben.

Ich bin vielleicht schon zu alt, aber ich tendiere immer noch zu einer freiheitlich demokratischen Grundordnung und halte an der Stelle präventive Maßnahmen für ein Werkzeug des Teufels. Ich glaube nicht, dass wir absolute Maßstäbe für geistige Gesundheit besitzen oder besitzen werden, diese sind immer Spiegelbild der aktuellen Sichtweise. Daher halte ich diese Tests für reinen Aktionismus und ich würde es begrüßen wenn wir uns anstelle darüber unterhalten würden, wie wir das tägliche Miteinander so gestalten, dass auch die schrägen Typen nicht gleich gebrandmarkt werden und/oder Unfug anstellen können. In der Historie haben nämlich oftmals genau diese Personen Fortschritt produziert.
29. Mai 2015: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an Albert Paleczek Bewertung: +1.00 [1]

Moin,

genau das ist das Problem. Nun habe ich mich aber bei der Beschreibung des Tests geirrt: S steht nicht für Selbstmordgefahr sondern für Schwangerschaft.

Der Test ist jetzt bei Herrn R. M. positiv ausgefallen, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er schwanger ist? (Bevor jetzt laborgläubige Somatiker sagen, dann kann der Test doch gar nicht positiv sein: doch, kann er. Bei einem von hundert getesteten Männern wird er statistisch positiv sein - s. Fehler erster Art).

Und genau das ist das Problem aller Tests, welches sich in der Somatik in Vorsorgescreenings zeigt: ohne das Wissen um die a-priori-Wahrscheinlichkeit des getesteten Merkmals ist die Aussagekraft jedes Tests (mit Ausnahme der in der Realität nicht existenten perfekten Tests ohne Fehler 1. oder 2. Art) gleich Null. Deswegen ist es in der Medizin ja auch so wichtig, vor dem Einsatz des Tests eine klinisch begründete Verdachtsdiagnose zu haben. Das wussten meine Innere-Medizin-Lehrer noch (mein Gott, bin ich alt.... ;-)).

Viele Grüße

29. Mai 2015: Von  an Hofrat Jürgen Hinrichs
Hey, ich bin schwanger, klasse, danke. Wo kann ich das patentieren lassen?

Super Beispiel und ziemlich gut an der Wirklichkeit!
29. Mai 2015: Von Alexander Callidus an Hofrat Jürgen Hinrichs Bewertung: +3.00 [3]
Weil wir gerAde so off topoc sind, habe ich mal ein Beispiel mit eealistischen Größenordnungen versehen:
Angenommen, 1% der Bevölkerung sind "selbstmordgefährdet", davon 1% mit Potential, anderen Schaden zuzufügen, darum geht es ja hier. Man testet mit einem sehr guten Test, der 90% der "selbstmordgefaehrdeten Aggresiven" korrekt erkennt und gleichzeitig (ist ja ein empfindlich eingestellter Test, man will ja die unschuldigen Passagiere schützen) 80% der nicht "Selbstmordgefaehrdeten Aggresiven" korrekt erkennt. Der Test hat also eine Rate an falsch positiven von 20%. Wenn jetzt der Test positiv ausfällt, ist die Lizenz weg.

Für einen korrekt erkannten Selbstmordgefaehrdeten mit Aggressionspotential, wie viele bekommen zu unrecht ihren Schein abgenommen?

Zweitausendzweihundertzweiundzwanzig

Hatte mich zuerst verrechnet....
29. Mai 2015: Von Hofrat Jürgen Hinrichs an Alexander Callidus Bewertung: +1.00 [1]
Moin,

wenn man Deine Werte (die in Bezug auf die Häufigkeit sog. erweiterter Suizide sicherlich sogar noch zu hoch gegriffen sind) und die Testdaten (p(F1)=0,2, p(F2)=0,1) in eine Vierfeldertafel einträgt, sehen die Werte sogar noch schlimmer aus: für jeden korrekt erkannten Kandidaten werden über 2000 aus dem Verkehr gezogen. Eine solche "Number needed to treat" wäre in der Medizin nur vertretbar, wenn die Methode keinerlei negativen Effekte hätte.

Und da hat R. M. (schwanger oder nicht!) Recht: das muss gesellschaftlich entschieden werden. Meine Meinung dazu ist, dass die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt ist.

Grüße

P.S.: jetzt passt unser beider Rechnung und stimmt sogar noch überein....



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VierFelder.PNG
Image | 4.0 kb | Details




Um das Ganze etwas abzurunden: natürlich sind Tests (und Laboruntersuchungen etc.) nicht sinnlos. Mit jedem positiven Testergebnis erhöhe ich ja die Eingangs-a-priori-Wahrscheinlichkeit für den nächsten Test, vorausgesetzt, dieser ist von allen vorhergehenden unabhängig. Und da kommen wir zu einem spezifischen Problem psychometrischer Testverfahren: das, was diese in strukturierter Form abfragen, hat häufig inhaltliche Überschneidungen mit der klinischen Exploration, so dass sie eben nicht als statistisch unabhängige Testverfahren anzusehen sind. Die Schwierigkeit in der Begutachtung liegt genau da und Gefahr besteht immer dann, wenn Testverfahren unkritisch zu eindimensional (z. B. wir testen jetzt mal auf Selbstmordgefahr oder auf "psychische Auffälligkeit") ausgewählt werden.

Da haben es die Somatiker einfacher: Anamnese, körperlicher Befund (z. B. Schmerz), Entzündungszeichen im Labor und Ultraschallbefund sind vier relativ unabhängige Tests, die für sich genommen nicht viel aussagen, in typischer Konstellation aber eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer Erkrankung liefern, die es rechtfertigt, einem Menschen den Bauch aufzuschneiden.

Grüße

Ja, danach hatte ih das auch gemerkt. 99,95% Beifang
29. Mai 2015: Von Stefan Jaudas an 
... dabei ist die Lösung des Problems wirklich einfach. Die gleiche Lösung wie in der Technik auch.

Wenn man Fehler oder Schäden bei einem kritischen und/oder komplexen System nicht rechtzeitig oder zuverlässig feststellen kann, dann baut man Redundanz ein:
  • Also immer mindestens zwei Personen im Cockpit.
Bei einer singulären Fehlerquelle wird diese eliminiert:
  • Uneingeschränkte Zugänglichkeit des Cockpits für befugte Personen.
Nur blöd, dass dann trotzdem immer noch was passieren kann. Die Wahrscheinlichkeit ist dann zwar nochmal deutlich reduziert, aber unmöglich ist damit immer noch nicht geworden. Unmöglich ist nur, was den naturwissenschaftlichen Gesetzen widerspricht. Menschen folgen aber nicht diesen Gesetzen - sie nutzen diese nur (zumindest die schlauen).
29. Mai 2015: Von  an Stefan Jaudas
Unmöglich ist nur, was den naturwissenschaftlichen Gesetzen widerspricht.

Dies gilt nur solange man sich auch zu 100% unter den für die naturwissenschaftlichen Gesetzen vorausgesetzten Bedingungen bewegt, was man nie exakt wird beweisen können. Der Eintritt des Unmöglichen ist dann nur ein Hinweis darauf, dass man die (dem menschlichen Geist in Gänze unbekannten) Grenzen der jeweiligen naturwissenschaftlichen Gesetze verlassen hat. Merke, auch dieses "unmöglich" heisst nicht, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit Null ist.

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