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26 Beiträge Seite 1 von 2

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25. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Bernhard Sünder Bewertung: +1.00 [1]
Liebe Kollegen,

ich habe den Thread angestoßen und finde jetzt erst die Ruhe, mal zu wirklich darüber nachzudenken.

Zunächst einmal war es wissenschaftliche Neugier, was denn da beim Startlauf passiert. Da weiß ich jetzt dank der tollen Daten und deren Aufbereitung von Bernhard Sünder, wie genau man mit dem richtigen Gerät ("Bad Elf") Daten erfassen kann, und wie stabil der Trend dann nach Filterung auch aussieht.

Weiter gab es einen PuF-Artikel, indem die Halbbahnregel (mit 70%) erwähnt wurde. Ich habe bei Jan Brill nach der Quelle nachgefragt, und erhielt folgende gute Antwort:

Hallo … die Regel ist in den USA eigentlich Standard, die genaue Herkunft ist mir nicht bekannt, eine weitere Quelle finden Sie aber hier:


Wenn man sich den Link durchliest, wird die Idee hinter der Regel klar:

Aus dem Physikunterricht kennen wir vielleicht noch die alte Regel der Beschleunigung um luftleeren Raum:

Geschwindigkeit (m/s) = g * t

und

Strecke = 1/2 g * t^2

Nehmen wir das als "gesetzte Physik" an, dann ist das Modell, dass die Geschwindigkeit (egal, in welcher Maßeinheit) linear mit der Zeit zunimmt. An der Halbbahnmarkierung muss übertragen gelten: Da g konstant ist, ist bei der Hälfte der Strecke der Kehrwert von Wurzel 2 der Zeit (2^-0.5) vorbei. Wurzel zwei ist für den Ingenieur 70%, passt also (Sogar mit 1% Sicherheitsmarge).

Danach wäre allerdings die 70%-Regel ein sehr gefährlicher Irrtum. Das hat zwei elementare Gründe:

- Wir starten i.d.R. gegen den Wind. Benötigen wir 60 kt/s zum guten Steigen und haben 20 kt/s auf der Bahn als Headwind, können diese 20 kt/s ein gefährliches Geschenk werden. Denn 60 kt/s * 0,7 wären 42 Knoten - die haben wir aber bereits mit 22 kt relativem IAS-Geschwindigkeitsgewinn erreicht, den wir am Anfang - im Bezug auf den Ground - sehr billig bekommen. Die fehlenden 18 kt werden wesentlich mehr Strecke benötigen. Unser fiktiver Pilot wird also am Ende des Runway ziemlich brutal scheitern. Danach wäre eine bessere Regel:
- Ziehe von Deiner Abhebegeschwindigkeit die Gegenwindkomponente ab. Nimm 70% davon. Addiere die Gegenwindkomponente wieder auf. Wir kämen im Beispiel auf (60-20)*0,7 + 20 = 48 Knoten (versus 42 Knoten nach dem Original).
Unser selbstloser Testpilot würde ziemlich nun also immerhin unterhalb von 48 Knoten an der Halbbahnmarkierung abbrechen müssen.

- Zum anderen mag am Anfang des Startlauf beim Fixpropeller die Beschleunigung mies sein. Dies käme der Safety zupass. Dagegen spricht aber, dass Roll- und insbesondere der Luftwiderstand im Verlaufe unserer Beschleunigung deutlich zunehmen - ganz anders als bei der Kugel im luftleeren Raum des Modells. Dafür, dass diese Effekte sehr real sind, dafür, dass wir nicht pro Sekunde die gleiche Anzahl von Knoten an Speed aufbauen, sprechen die Messwerte von BS eine sehr deutliche Sprache: Die Beschleunigung nimmt hier im Verlaufe des Startlaufs deutlich ab, und zwar auf etwa die Hälfte! Am Anfang des Startlaufs nimmt die Geschwindigkeit um 2,5 m/s zu beim Abheben um gerade mal gut 1 m/s, also knapp die Hälfte. Dies widerspricht komplett dem Modell der linearen Geschwindigkeitszunahme (über die Zeit).

Damit hätte die 70%-Regel dann zwar "satte" 1% Sicherheitsmargin, aber erhebliche Defizite im Modell und wäre ziemlich brandgefährlich... Sie wäre zwar ein 100%iger Indikator für "Du hast keine Chance", aber keinesfalls ein Indikator für "Du bist safe". Wenn's gut geht, dann nur, weil die Abhebegeschwindigkeit mit genügend Safety-Margin gewählt ist.

Natürlich gilt sowieso, dass wir hier das Ende der Runway mit dem Beginn der Steigens gleichsetzen - nicht etwa mit dem Überfliegen der Düne oder des Zauns oder gar dem 15-Meter-Hinderniss.

Nach Stand meiner Überlegungen ist die 70%-Regel also im Zweifelsfall oder besser: im Regelfall des Gegenwindes tödlich. Ich glaube auch, dass die Daten von BS eines konkreten Startlaufes eher typisch als ein Ausreißer sind. Damit wäre die Regel "doppelt tödlich".

Würde mich freuen, wenn es wieder so gute Beiträge wie zu meiner ersten Frage geben sollte.

Schöne Weihnachten noch!


Georg
26. Dezember 2013: Von Lutz D. an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Keine Sorge, die 70%-Regel bringt auch bei Gegenwind die meisten Piloten nicht um, denn sie sagt ja lediglich:
IN JEDEM FALL brichst Du den Start ab, wenn Du an der Halbbahnmarkierung keine 70% der Abhebegeschwindigkeit erreicht hast.
Sie sagt ausdrücklich nicht, dass ansonsten alles gut ist.
26. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Lutz D.
Hi Lutz,
diese Sichtweise finde ich doch etwas gefährlich. Eine Regel, die suggeriert, dass in ihr das Wissen der Großeltern steckt, durch Zahlen eine gewisse Präzision verspricht, und dennoch einfach auf der falschen Seite nie stimmen kann? (Außer für Körper im luftleeren Raum, evtl. Rückenwindstarts und ggf. noch reiseoptimierte Festpropeller?)
Ich soll auch den Start unterlassen, wenn ein Kilo zu viel an Bord ist, oder der Masseschwerpunkt unzulässig weit vorne ist (bei der DA40 ganz einfach zu erreichen, weswegen man ja sogar Ballast im Heck fest einbauen kann). Beides führt nicht zwangsläufig zum Unfall. Hier reden wir über eine Formel, die ggf. nur dann nicht zwingend zum Unfall führt, weil in der Abhebegeschwindigkeit noch genügend Sicherheitsmarge drin ist.

Im genannten Beispiel mit den 20 kt Gegenwind (für Inseln ja nicht ganz unrealistisch) ist alleine der theoretische Fehler schon: "Du hättest 80% statt 70% nehmen müssen".

Auf jeden Fall wäre es vermutlich sehr erschreckend, mal die eigene, reale Startrollstrecke als Bahnlänge zu definieren und zu ermitteln, wieviel Prozent der Abhebegeschwindigkeit man bei der fiktiven Halbbahnmarkierung hatte.

Ich habe mir jetzt gerade das "Bad Elf" bei Siebert bestellt.
26. Dezember 2013: Von  an Lutz D.
70% bei Halbbahnmarkierung muss eine neuere Regel sein. Ich kenne die nicht, trotz über 20 Jahren Flieger mit US Lizenz. Mit einer alten C150 oder C172 wird das auch schwierig umzusetzen, letztere zum Beispiel wird bei 60 Knoten rotiert und der Speedmesser fängt erst bei 40 Knoten an - also nix mit 50% ablesen.
26. Dezember 2013: Von Lutz D. an 
Das Alter einer Regel sagt ja nicht zwingend etwas über die Sinnhaftigkeit. Du musst ja auch keine 50% ablesen, sondern 70%. Bei 60kn sind das 42kn. Grundsätzlich gilt in der Fliegerei aber - neben den einschlägigen Merksätzen, immer das eigentliche brain bereithalten und sich vor jedem Start überlegen, was zwingend wann zum Abbruch führt. Interessante Frage zB bei offener Tür, bemerkt man meist eher >50kn.
26. Dezember 2013: Von Ursus Saxum-is an 
70% Speed bei 50% der Bahn -> über 40 kn an der Halbbahnmarkierung für die C172 ...
26. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Ursus Saxum-is
Autsch! Kinder, Ihr bringt Euch um :-)
Ganz sicher. Das Modell suckt vorne und hinten.

Btw: Gibt es im Rheinland irgendwelche Flugplätze jenseits der großen Flughäfen, wo man uns am 2. Weihnachtstag nicht unser Spielzeug wegsperrt?
26. Dezember 2013: Von Bernd Almstedt an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Für alle geübten Piloten mit routinemäßig abgerufener Weight&Balance, Dichtehöhe, Geländekenntnis und Startstreckenberechnung vor Take-Off (ob per Excel, App oder Papiervorlage ist egal) ist so eine 70% Regel natürlich nicht einmal als Schätzeisen tauglich... - und richtig so, ist es ja auch nicht.

Diese Regel ist für alle Kaffeepiloten ein leicht "erlernbares" Kriterium: weniger als 70% Take-Off Speed bei der Halbbahn-Markierung bedeutet Startabbruch. Besser einmal zuviel abgebrochen als einmal im Sackflug in Richtung Gelände abgehoben....

Logischerweise berücksichtigt diese Regel weder böigen Gegenwind, Matsch auf der Grassbahn, ein ansteigendes Längsprofil der Bahn oder irgendwelche Geländegegebenheiten... - wie sollte sie auch.

Wer all diese Dinge berücksichtigt braucht keine Daumenregeln... - fertig aus.
Georg,
nach anfänglicher Skepsis hast Du Recht mit dem Gegenwind, und das kann man leicht belegen:
Angenommen die Abhebegeschwindigkeit ist 50kts und der Headwind 30kts. Wenn dann bis zur Halbbahnmarkierung nur 5kts (von 30 auf 35) beschleunigt wird fühlt man sich mit den 70% bestätigt, wird aber in der zweiten Hälfte niemals die verbleibenden 15kts beschleunigen können.

Für einen groben Check bei Windstille ist die Regel vermutlich besser als nichts, aber mehr auch nicht.
26. Dezember 2013: Von Lutz D. an Bernd Almstedt
Hmm, das sehe ich anders. Ich kann die Startstecke unter Berücksichtigung von w&b, Wetter, Piste etc bis auf den Meter gebau berechnen - das hilft mir aber erstmal nicht bei der Definition eines Abbruchpunktes. Nur dazu dient diese Daumenregel - nicht weil man zu faul wäre Startstrecken zu berechnen, sondern für den Fall, dass die errechnete Startstrecke aus welchen Gründen auch immer nicht erreicht werden kann. Da gibt es tausend Möglichkeiten. Es hilft mir überhaupt nichts, zu wissen, dass ich nach Flugvorbereitung mit der M20 nach 450m auf einer 520m Bahn in der Luft bin, wenn ich in der Realität einen Plattfuß habe. Dann ist das sich Verlassen auf die Vorbereitung sogar hinderlich.
Um die Regel zu verstehen müsst ihr sie umgekehrt andenken - wieviele Pisten gibt es, an denen ich an der Halbbahnmarkierung weniger als 70% der Abhebegeschwindigkeit habe? Mir fällt allenfalls Courchevel wg des Knicks ein, sonst keine (gibt bestimmt noch welche).

Wer meint, die 70%-Regel seinzu wage, kann ja auch andere, für sein Flugvorhaben bessere Abbruchpunkte definieren, hauptsache er tut es.
26. Dezember 2013: Von Bernd Almstedt an Flieger Max L.oitfelder
Das nenne ich mal ein realistisches Szenario!!! 8-)

Wer bis zur Halbbahnmarkierung erst bei 5kts Groundspeed ist wird wohl so oder so abbrechen... - entweder weil ihm bis zum Ende der Runway der Sprit ausgeht oder die Prostata ruft... :-))
26. Dezember 2013: Von Bernd Almstedt an Lutz D.
Moin Lutz... - habe ich etwas anderes gesagt??? :-)

Meine Flugvorbereitung mache ich ja nicht um irgendwelchen Vorschriften zu genügen, sondern um für mich selber eine Guidance zu haben.
...und da ich ungefähr weiß was auf mich zukommt weiß ich auch was ich so ungefähr an Start-Performance erwarten kann und wie es nach der Halbbahn-Markierung weitergeht.
Da ich lieber auf der sicheren Seite rechne langt es auch... - immer!!!
Sollte es mal nicht langen, dann ist das schon mehr als ein guter Grund zum Abbruch... - egal ob platter Reifen, Rechenfehler oder was auch immer.
26. Dezember 2013: Von Lutz D. an Bernd Almstedt
Dann sind wir im Einverstàndnis. Mich ärgert nur, dass die 70%-Regel in diesem Thread von Anfang bis Ende penetrant als "wenn bei Halbbahn 70% der Abhebegeschwindigkeit habe, dann passt's" missverstanden wird. Siehe Gegenwinddiskussion.
26. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Lutz D.
Liebe Leute,
Formeln und Co. sind ja nicht jedermanns Sache. Also in Kürze: Das mathematische Modell der 70% geht davon aus, dass ich jede Sekunde beim Startlauf die gleiche Anzahl Knoten an Speed zulege. Also 1. Sekunde 10 kt, 2. Sekunde 20 kt, 3. Sekunde 30 kt u.s.w. Dann habe ich bei 70,7% die Hälfte der Strecke verbraucht, um die Endgeschwindigkeit zu erreichen. Wenn man sich
a) entweder eigene Messreihen baut
b) an das denkt, was man so vom Auto kennt (0 auf 30 geht flotter als 100 auf 130).
c) oder sich die Graphen von BS ansieht (siehe PDF-Attachment ein paar Beiträge höher)
kommt man sicherlich zu dem Schluss, dass dieses Modell *nicht* zur Faktenlage passt.

Meine GPS-Daten sind zu unbrauchbar, um dies mit eigenen Zahlen zu belegen.

Den anderen Punkt (Gegenwind) hat ja Markus schon bestätigt, aber hier gibt es wenigstens die Möglichkeit, die Formel zu verbessern.

Deswegen noch einmal: Ich möchte behaupten, dass niemand mit Verstellprop, der bei der Halbbahnmarkierung 71% hat, am Ende der Bahn 100% der Geschwindigkeit hat - es sei denn, bei Rückenwind oder Bahnbesonderheiten etc.

Und, Lutz, wenn Du mal nach Fundstellen der 70%-Regel suchst: Die wird hier locker im Nebensatz erwähnt, und keinesfalls mit dem Sternchen ausgeschmückt: "Die Regel garantiert nur, dass Du es dann definitiv nicht auf 100% schaffst - nicht, dass Du es schaffst". Damit ist die Regel so hilfreich wie Kindern einzubläuen: Wer von 30 Meter hohen Hochhäusern springt, ist tot. Da käme man auch nicht auf die Idee, zu sagen: Guck runter, und wenn es 30 Meter sind, spring auf keinen Fall.

Noch kurz, warum mir eine Regel wichtig wäre: Neben Unvorhergesehenem - wie schon angeführt - erreiche ich die Handbuchwerte leider nicht. Obwohl die Anweisung im Handbuch: Nicht ziehen, nicht bremsen, ja so schwer nicht ist. Vielleicht ist es meine Neigung, bei Rotieren noch einmal 5 kt draufzuschlagen, um safe zu sein. Aber genau dafür möchte ich mal genaue GPS-Tracks meiner Startläufe haben.

Ansonsten noch der Glückwunsch an die Fraktion, die Helgoland und Jesenwang auch mit MTOW schafft!

Cheers,


Georg
27. Dezember 2013: Von Lutz D. an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Die einzige relevante Fundstelle zur Regel ist übrigens die offizielle, AIM 7-5-7, zuletzt geändert am 22.6.2013. Da stehen alle hier im Forum geäußerten Bedenken komprimiert drin. Bei der FAA macht man sich dazu ja ab und an mal auch Gedanken. Die Analogie zum Hochhaus gefällt mir ganz gut, mehr ist es in der Tat nämlich nicht und von solchen Regeln gibt es in der Fliegerei einige, weil das Ergebnis (tot) oft so überraschend kommt.
Wie hoch muss denn ein Haus sein, damit man nicht mehr runterspringen darf?
27. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Lutz D.
Ich melde mich, wenn ich meinen GPS-Tracker habe und mit ein paar Zahlen belegen kann, dass das Modell nicht aufgeht, selbst bei Windstille nicht. Leihe ich Dir dann auch gerne aus.
Wenn's doch klappen sollte, dann Schande über meine Physikkompetenz!

Und jetzt darf ich endlich mein eingesperrtes Flugzeug rausholen...
27. Dezember 2013: Von Lutz D. an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Sehr gerne! Aber wir reden aneinander vorbei. Wenn das Modell nicht aufgeht ist das ja gerade eine Unterstützung für die 70% Regel...
27. Dezember 2013: Von Wolfgang Winkler an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu Bewertung: +5.00 [5]
Das Beispiel mit dem Sprung vom Hochhaus ist zwar lustig, hinkt aber m.E. ein wenig. Worum es bei der 70%-Regel geht (ich persönlich nehme 80%), ist ein Spiel mit mehreren Ausgangslagen und nachfolgenden Szenarien.

Ausgangslage 1:
Der PIC hat eine ausreichend sorgfältige Startstreckenberechnung (ggf. mit Zuschlägen) durchgeführt und ermittelt, das es reichen müsste. Er entscheidet sich für GO. Dann ist die Halbbahnregel die letzte Rettung, wenn
a) entweder ein Rechenfehler gemacht wurde (soll auch bei A340 schon passiert sein, siehe Melbourne)
b) die Umstände (Bahnzustand, Wind etc.) schlechter sind als angenommen
c) ein technischer Defekt (Triebwerk, Reifen, schleifende Bremsen etc.) vorliegt.

Ausgangslage 2:
Der PIC verfährt nach dem Motto "gestern ging's auch" und verzichtet auf eine detaillierte Startstreckenberechnung (jaja, macht NIEMAND so, ich weiß...). Dann ist die Halbbahnregel die einzige Rettung, wenn "gestern" ein entscheidender Einflussfaktor noch günstiger war als "heute".

Die Betrachtung einer GO-Entscheidung trotz negativ ausgefallener Berechnung lassen wir jetzt mal aus ersichtlichen Gründen außen vor (was noch lange nicht heißt, dass sich nicht auch daran gelegentlich schon manche versucht haben).

Die Anwendung der Halbbahnregel führt nun zu 4 möglichen Szenarien:

1. Der Start wird abgebrochen, obwohl es gereicht hätte
2. Der Start wird abgebrochen und es hätte tatsächlich auch nicht gereicht
3. Der Start wird nicht abgebrochen und es reicht tatsächlich
4. Der Start wird nicht abgebrochen, es reicht aber nicht

3 von 4 Szenarien enden gut, nur eines katastrophal.

Die Nichtanwendung dieser oder irgend einer anderen "continue or abort"-Regel kennt dagegen nur zwei mögliche Szenarien: entweder es reicht oder es reicht eben nicht. Dazwischen gibt es dann nichts mehr und das Ergebnis wird erst ganz am Schluss geliefert.

Der weitere Verlauf der Beschleunigung (egal ob mit einer Halbbahnregel oder mit einem ausgefeilten Messsystem ermittelt) kann ohnehin nur unter der Annahme extrapoliert werden, dass sich die Gegebenheiten, die diese Beschleunigung beeinflussen, nicht wesentlich ändern. Aber diese Annahme liegt bereits der zuvor erfolgten Berechnung des Startlaufs zu Grunde.

Andersrum gesagt: wende ich die 80%-Regel an, dann komme ich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vor dem Ende der Bahn in die Luft oder aber (im Falle des Abbruchs) sicher wieder zum Stillstand. Wende ich gar keine Regel an, bleibt mir nur das Prinzip "Hoffnung".

Noch etwas zum Einwand "Gegenwind": Wenn eine Startstreckenberechnung ergeben sollte, dass nur mit Hilfe eines erheblichen Gegenwindes der Start überhaupt geschafft werden kann, sollte man tunlichst gleich am Boden bleiben.

Ist die verbleibende Bahnlänge am Punkt des Abhebens kürzer als der erforderliche Bremsweg unter den gegebenen Umständen, muss jedem klar sein, worauf er sich bei einem solchen Start einlässt. Die alte Regel gilt auch hier: every take-off is optional.

Das eigentlich Bedenkliche an der ganzen Geschichte ist, dass viele Piloten offensichtlich nur die Vr ihres Fliegers leidlich genau kennen (und auch nur die für MTOW) und auf deren Erreichen beim Start einfach "warten", ohne den Anfangsstartlauf überhaupt irgendwie zu monitoren. Von den Triebwerksüberwachungsanzeigen mal gar nicht zu reden. Auf die Frage nach Kriterien für einen Startabbruch angesprochen bekommt man als Antwort meist nur ein paar große Augen.
27. Dezember 2013: Von B. Quax F. an Wolfgang Winkler
Ich wünsche mit erstmal an jeder Bahn gut sichtbare Halbbahnmakierungen, dann mache ich mir darüber gedanken ob 70 oder 80%.
29. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an B. Quax F.
Meine "Bad Elf" ist da. Überlege, morgen mal in Kassel Messwerte zu sammeln, bei deren genialen Preisen und mit der Chance, vielleicht ein "Stop and Go" auf der Bahn abzusprechen, ist das eigentlich der ideale Ort zum "Spielen & Messen". Meine Zielsetzung ist, darzulegen, dass bei 50% der Startrollstrecke stets signifikant mehr als 70% des Speeds anliegen, also die 70%-Regel bedeutet, um es mit Lutz zu sagen: "Du hast absolut keine Chance, also brich' ab", oder es mit meiner Philosophie zu sagen: "Wenn die Regel Dir irgendeine Form von realistischem Abbruchgefühl geben soll: Nimm 80% (oder X)".

Hat jemand Lust, ab Essen ggf. mitzukommen oder auch mit dem eigenen Flugzeug Werte zu sammeln?

Mein Plan:

- Fliegen nach Handbuch der DA40D (keine Bugrad-Entlastung, streng nach Gewicht abhängiges Rotieren)
- Allerdings im Stand in Bremsen 100% Motorleistung für 2-3 Sekunden setzen
- Möglichst aufzeichnen, welche Windwerte angegeben werden
- Fragen, ob man auch Rückenwindstarts üben darf

Beim Beitrag von Wolfgang Winkler ärgert mich etwas, dass eher philosophiert statt modelliert wird. Die Ausführungen über die verschiedenen Szenarien sind eher allgemein und wirken auf mich nicht reflektiert. Meine Aussage (die ich aus den Messungen von Bernhard Sünder und meinen theoretischen Überlegungen ziehe) ist ja gerade: "Vergiss es: Es gibt kein Szenario: Die 70%-Regel sagte Abbruch, aber es hätte trotzdem gepasst! Es gibt nur massenhaft Szenarien: 70%-Regel sagt grün, aber Du hast die Rotationsgeschwindigkeit trotzdem nicht am Ende der Strecke". (Ausnahme: Starker Rückenwind oder ein ganz anderes Verhalten von Flugzeugen als in den Messungen von Bernhard Sünder). Wenn Wolfgang hier einfach sagt: Ich möchte sicher fliegen, also nehme ich 80%, ist das zwar m.E. ausgesprochen sinnvoll, aber eben nicht reflektiert, auf Messungen basiert oder auf Modellierungen. Möglicherweise sind auch 80% zu wenig.

Zielsetzung ist, hier Werte zu posten, wieviel Prozent der Abhebegeschwindigkeit ich bei 50% der Strecke erreicht habe.

Cheers, Georg
29. Dezember 2013: Von Lutz D. an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Auf jeden Fall bleibt's spannend! Wäre gerne dabei gewesen, aber morgen schon anderweitig Verpflichtungen eingegangen :(
30. Dezember 2013: Von Bernhard Sünder an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Bin gerne bei der Auswertung behilflich. Einfach die GPS-Daten an meine Mail-Adresse schicken. Ich bemühe mich, dann schnell die Auswertung zu machen.
Beste Grüße aus Chemnitz
Bernhard Sünder
30. Dezember 2013: Von Wolfgang Winkler an Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu
Lieber Hans-Georg,

nichts liegt mir ferner, als Sie persönlich in dieser wirklich sehr interessanten, praxisrelevanten und spannenden Diskussion zu ärgern. Offensichtlich verfolgen wir mit unserem Überlegungen beide nämlich exakt das gleiche Ziel wie schon der Thread-Starter: Das Finden einer Indikation für einen rechtzeitigen Startabbruch, wenn die Gefahr besteht, vor dem Ende der nutzbaren Piste nicht die erforderliche Abhebegeschwindigkeit zu erreichen.

Die 70%-Regel (nennen wir sie jetzt einfach mal so) beruht auf der vereinfachten Annahme einer linearen Geschwindigkeitszunahme (gleichbedeutend mit einer konstanten effektiven Beschleunigung) vom Beginn des Startlaufs bis zum Erreichen der Abhebegeschwindigkeit. Das dies technisch und physikalisch nicht exakt zutreffen kann, darüber sind wir uns auch einig. Weiterhin ist klar, dass wenn an der Halbbahn tatsächlich erst exakt 1/2 Vlo anliegen sollten, es beim Abheben eine Staubwolke an den Rändern gibt, weil diese dann gerade noch die Bahnkante "kratzen". Völlig konstante Beschleunigung immer vorausgesetzt.

Möchte man diese Regel nervenschonend modifizieren, muss man zunächst festlegen, wieviel "Restpiste" man denn nach dem Abheben noch gerne unter sich hätte. Ich hätte gerne noch 20% der Gesamtlänge. Wenn ich diese Bedingung in das Beschleunigungsdiagramm einsetze (man könnte auch sagen, ich definiere mir die Piste kürzer, als sie tatsächlich ist), dann komme ich auf 79,05...% der Vlo an der Halbbahn. Zur sicheren Seite aufgerundet 80%. Bis hierher reine Mathematik, keine "Philosophie" ;-)

Zu guter Letzt hilft natürlich im Grenzfall auch noch mit, dass die Handbuch-Vr und -Vlo keine absoluten aerodynamischen Mindestgeschwindigkeiten darstellen, sondern nach dem Abheben einen optimalen Steigflug ermöglichen. Anders gesagt, fliegt die Kiste zur Not auch schon 10 Knoten unter der Vlo im Bodeneffekt und man kann in diesem dann die fehlenden Knoten bis zur Vlo "nachholen". Darauf solle man es natürlich im Normalfall keinesfalls schon im Vorhinein anlegen, aber diese Tatsache gibt der 80%-Methode trotzdem noch einige Toleranz mit auf den Weg, selbst wenn die Beschleunigung nicht wie berechnet verlaufen sollte.

Stelt sich jetzt die Frage nach dem effektiven Verlauf der Beschleunigung und damit nach der Brauchbarkeit des Modells in der Praxis. Deshalb bin nicht nur ich auf Ihre Messungen sehr gespannt. Persönlich habe ich aber bereits mehrfach selbst gemessen. Zwar nicht mit so ausgefeiltem Equipment wie Sie es vorhaben, sondern mit Stoppuhr, Fahrtmesser, Beobachtungsperson und handelsüblichem Entfernungsmessroller am Boden. Unsere Messreihe hat 10 Starts mit zum Teil unterschiedlicher Beladung umfasst. Testflugzeug war eine PA28-161 mit Fixprop. Dabei haben wir folgendes festgestellt:
1. Der Verlauf der Geschwindigkeitszunahme war (wider Erwarten) ziemlich zeitlinear.
2. Die erwarteten Abhebepunkte nach der 80%-Regel entsprachen +/- 20 Meter den gemessenen Strecken.
3. Die Handbuchwerte konnten innerhalb der Fehlertoleranz praktisch bestätigt werden.

Also auch hier war keine Philosophie im Spiel ;-)

Gemäß eine alten (und guten) Regel in vielen Lehrbüchern soll man den Start abbrechen, wenn man an der Halbbahn noch nicht in der Luft ist, es sei denn, dass ein wenig späteres Abheben klar erkennbar ist. Und genau um den zweiten Teil dieses Satzes geht es doch hier: wie kann ich klar erkennen, dass ich noch sicher innerhalb der verfügbaren Piste abheben kann, wenn ich an der Halbbahn nicht eh' schon "airborne" bin.

Wie gesagt: Ihre Messergebnisse werden mit Spannung erwartet. In diesem Sinne einen guten Rutsch + always safe and happy take-offs :-)
31. Dezember 2013: Von Georg v. Zulu-eZulu-schwit-Zulu an Wolfgang Winkler
Hi Wolfgang & Runde,

Gut, ich nehme den Vorwurf von "Philosophie statt Mathematik" zurück. Für diejenigen, die Formel (für die Unterstellung einer linearen Beschleunigung) wissen wollen:

Da das Abheben bei 80% der Bahn erfolgen soll, ist die Geschwindigkeit bei 50% der Strecke gesucht. Es ist der Bruch zu nehmen: 1 / (Wurzel (80/50)) = 0,7905. Beispiel mit 100%: 1 / (Wurzel (100/50)) = 0,7071.

Herr Sünder hat bisher eine meiner neun Messungen in Kassel mit Jbeam ausgewertet. Die wesentliche Frage ist ja: Ist die Beschleunigung linear (was in dem Beispiel weiter oben im Thread definitiv nicht der Fall ist).

Ich habe mich bemüht, mit ein wenig Perl den Rest auszuwerten, aber dafür müsste ich noch einige Filter implementieren - mal eine Kostprobe ungefilterter Daten (Lat/Long/Speed in kt):

1866 51.421089 9.387598 0

1867 51.421089 9.387601 4.0482801811092

1868 51.421089 9.387605 5.39770690974364

1869 51.421089 9.38761 6.74713363598102

1870 51.421089 9.387616 8.0965603622184

1871 51.421089 9.387621 6.74713363598102

1872 51.421089 9.387626 6.74713363837808

1873 51.421089 9.387635 12.1448405433276

1874 51.421089 9.387641 8.09656036461546


Die Auswertung des ersten Startlaufs ist zwar nicht wirklich ehrenvoll (daher danke an Herrn Sünder, dass er nicht selber gepostet hat), aber sei hier schonungslos offengelegt. Der Wind beim ersten Startlauf war 170 / 10 kt, was in Kassel (Bahn 09 mit 093 Ausrichtung) fast reinen (rechten) Seitenwind bedeutet.

Im Einzelnen ist wohl zu erkennen:
- Es gibt einen gewissen "Satz", wenn man die Bremsen löst, den man durchaus mit vielleicht 5 "geschenkten" Knoten gleichsetzen kann.
- unser Held hat bei 14:54:05 - trotz vermutlich ausreichendem Airspeed - die Richtung (mit den Fußbremsen) korrigiert - ein hübscher Einbruch in der Beschleunigung.
- Weiter rotiert unser Experimentator bei 60 kt (statt 55 kt für 1000 kg), geht in den Gleitflug und geht erst mit 67,5 kt in den Steigflug (Vy für 1000 kg: 60 kt, Vy für MTOW: 65 kt).
- Den Steigflug leite ich aus dem gleichbleibenden Speed ab, dass die Elevation erst später sinnvoll steigt, ist vermutlich ein Artefakt.

Aber die interessanteste Aussage ist: Die Abnahme der Beschleunigung über die Zeit ist eher gering. Das spricht dafür, dass das Modell der linearen Beschleunigung gar nicht so falsch zu sein scheint.

Ich bin jetzt einmal sehr gespannt, was weitere Auswertungen ergeben.
Und selbstverständlich allen allzeit gute Landungen in 2014!


Georg


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Kassel1.jpg

1. Januar 2014: Von Thore L. an Lutz D.
>> wieviele Pisten gibt es, an denen ich an der Halbbahnmarkierung weniger als 70% der Abhebegeschwindigkeit habe?

Ich schmeisse mal target="_blank">die 24 in edxh in den Ring ;)

Die wird auf Helgoland übrigens bei 240/45 durchaus mal zum landen genommen.

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