Bei den Lufträumen in Deutschland wird sich mit SERA einiges ändern. |
Das Vorhaben der Single European Rules of the Air (SERA) ist das gesetzmäßige Pendant zu Part-FCL in der Lizenzierung oder Part-M in der Instandhaltung. Wir hatten in der Vergangenheit schon über die verschiedenen Stadien der Entwicklung bei SERA berichtet. Seit 26. September 2012 ist SERA als EU-Verordnung Nr. No 923/2012 Gesetz und wird zum 4. Dezember 2014, also in einem Jahr, in Kraft treten.
SERA regelt also Dinge wie Mindestflughöhen, Sichtflugmindestbedingungen, Vorflugregeln etc. Also jene Sachverhalte, die bei uns bislang vor allem in der LuftVO geregelt waren. Im Unterschied zu Part-FCL oder Part-M ermöglicht SERA aber den einzelnen Mitgliedsstaaten umfangreiche Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten. SERA wird also keinesfalls dazu führen, dass wir in ganz Europa einheitliche Luftverkehrsregeln, einheitliche Luftraumstrukturen und einheitliche ATC-Dienste haben. Es wird beispielsweise weiterhin Länder geben, in denen VFR-Nachtflug erlaubt ist, und solche, wo dies nicht der Fall ist, und die Luftraumstruktur in England wird weiterhin ganz anders aussehen als die in Deutschland. SERA wird, das ist inzwischen klar, die LuftVO nicht ersetzen und für Piloten in Europa auch wenig vereinheitlichen. SERA ist vielmehr ein zusätzliches Regelwerk, das es zu beachten gilt.
Die ganz großen Aufreger enthält SERA allerdings nicht. Weder werden ganze Flugzeugklassen an die Kette gelegt (wie kürzlich in der EASA Decision ED 2013/025/R) noch massenweise Piloten gegroundet (wie bei der Einführung von Part-FCL). Betrachten wir also vier Teilaspekte von SERA und wie diese sich auf Deutschland auswirken könnten.
1) IFR im unkontrollierten Luftraum und Luftraum F
Dieser Themenkomplex zeigt beispielhaft, wie SERA scheinbar vereinheitlicht, de facto jedoch den Mitgliedsstaaten jede Möglichkeit lässt, die nicht ICAO-konformen nationalen Sonderregeln beizubehalten.
Gegen jede ICAO-Norm und auch gegen jede Vernunft ist IFR im Luftraum Golf bei uns ja verboten. Dies hat zur Folge, dass man von und zu kleinen Flugplätzen ohne Instrumentenanflugverfahren nur VFR fliegen kann, statt wie in ganz Europa und der ganzen Welt IFR im unkontrollierten Luftraum. Dies ist die deutsche Dauer-Lügerei mit „Maintain VFR in VMC“ vor dem Pick-up und „Cancelling IFR“ bei der Ankunft. Wie dies ICAO-konform z.B. in England gemacht wird, wie man dort ganz legal und safe von einem Platz ohne Abflugverfahren IFR vom Boden weg filen und fliegen kann, hatten wir zuletzt in Pilot und Flugzeug Ausgabe 2013/07 ab Seite 18 beschrieben.
Die neuen europäischen Sichtflug-Mindestbedingungen nach SERA.5001. Substanzielle Änderungen ergeben sich beim Luftraum G (5 km Flugsicht, sofern keine nationale Ausnahme eingerichtet wird) und beim Luftraum D (CTR), wo zusätzlich zu dieser Tabelle für Start und Landung noch eine Ceiling von 1.500 ft gefordert ist. Es wird also wesentlich mehr Special-VFR Flüge geben als bislang. |
Nun wird das IFR-Verbot im Luftraum G fallen. Das ist klar, denn hier räumt SERA den Mitgliedsstaaten keine Freiräume ein.
Ob damit aber auch der gefährliche deutsche Sonder-Murks endet, ist tatsächlich höchst fraglich. Nehmen wir das Beispiel des Abflugs. Wir stehen in Mainz/EDFZ, die Sicht ist bestenfalls 500 Meter und wir haben 200 ft Overcast. Ein VFR-Abflug steht also außer Frage (außer man lügt und der Flugleiter schaut in die andere Richtung – so war’s bisher!).
ICAO- und SERA-konform wäre jetzt eine Joining-Clearance. Wir erhalten also von Frankfurt ATC entweder relayed durch Mainz Info, per RCO oder auch per Telefon die Freigabe zum Einflug in den kontrollierten Luftraum z.B. auf einem Kurs Direct Ried VOR (RID) bis 4.000 ft. Der kontrollierte Luftraum (E) beginnt über Mainz in 1.000 ft AGL. Im Flugplan haben wir IFR gefilet, nicht etwa Zulu. Wir fliegen also bis 1.000 ft IFR im Luftraum Golf, dann – mit Clearance – weiter IFR im Luftraum E. Im Luftraum Golf sind wir für Hindernisfreiheit und Kollisionsvermeidung ganz allein verantwortlich. Wenn uns das zu risky ist – don‘t go!
Falls nicht, können wir aber legal und mit klaren Verantwortlichkeiten auch bei absoluter Waschküche in Mainz starten.
Dieses Vorgehen ist für so manchen deutschen Flugleiter komplett unvorstellbar. Es ist aber in unseren Nachbarländern vollkommen selbstverständlich und es ist ICAO- und SERA-konform. Sollte sich hier wirklich etwas zum Besseren wenden?
Aus DFS und BMVBS hört man zu diesem Thema leider ein ganz anderes Vorgehen. Offensichtlich beabsichtigt die DFS, Freigaben wie bisher nur ab der MRVA (Minimum Radar Vectoring Altitude) zu erteilen. Und die beginnt 500 ft über der Untergrenze des kontrollierten Luftraums, also in unserem Beispiel bei 1.500 ft AGL, also irgendwo um 2.200 ft MSL.
Würden sich BMVBS und DFS tatsächlich für dieses Vorgehen entscheiden, wären die 500 ft zwischen der Obergrenze des unkontrollierten Luftraums und der MRVA ein unüberwindliches Hindernis, da ohne Freigabe nicht zu befliegen. Es bliebe bei der deutschen Lügerei und der bisherigen unguten Praxis.
Gleiches gilt analog bei der Ankunft. Eine ICAO- und SERA-gemäße Freigabe „cleared to descend out of controlled airspace“, wie wir sie international kennen, soll es wohl in Deutschland nicht geben. Bei der MRVA ist Schluss, wer tiefer will, muss canceln.
Und einfach fröhlich wie in England im Luftraum G IFR auf Strecke fliegen? Wird wohl auch nicht gehen. Denn SERA bestimmt unter SERA.5015, Absatz (b):
Instrument flight rules (IFR) — Rules applicable to all IFR flights
Minimum levels
Except when necessary for take-off or landing, or except when specifically authorised by the competent authority, an IFR flight shall be flown at a level which is not below the minimum flight altitude established by the State whose territory is overflown, or, where no such minimum flight altitude has been established:
(1) over high terrain or in mountainous areas, at a level which is at least 600 m (2 000 ft) above the highest obstacle located within 8 km of the estimated position of the aircraft;
(2) elsewhere than as specified in (1), at a level which is at least 300 m (1 000 ft) above the highest obstacle located within 8 km of the estimated position of the aircraft.
Es ist also beim IFR-Flug die vom jeweiligen Staat festgelegte Mindesthöhe einzuhalten oder – falls nicht festgelegt – 2.000 ft über dem höchsten Hindernis im Umkreis von 8 km im Bergland bzw. 1.000 ft über dem höchsten Hindernis im Umkreis von 8 km im Normalfall.
Mit der Obergrenze des Luftraums G in Deutschland bei 2.500 ft AGL und oftmals sogar bei 1.000 ft AGL dürfte es schwierig sein, Gebiete zu finden, in denen man – wie in England oder Schweden – IFR im Luftraum Golf über längere Strecken fliegen kann. Und selbst wenn – Deutschland kann dann die IFR-Minimum-Altitude einfach auf 5.000 ft festlegen, dann hat sich‘s.
Sofern die BMVBS und DFS hier also keine bewusste Entscheidung treffen, endlich auf internationale Normen einzuschwenken und SERA nicht nur im Wortlaut, sondern auch im Geiste zu folgen, wird sich an unserer unguten Praxis wenig ändern.
Dabei wäre ein ICAO-konformer Übergang zwischen IFR im kontrollierten und IFR im unkontrollierten Luftraum noch aus anderem Grund wichtig. Die Festlegung auf MRVA hält kleinere Flugzeuge ohne Enteisung oft in unsinnig großen Höhen, was häufig zu Problemen mit Vereisung führt.
So gibt es beispielsweise keinerlei terrestrischen Grund, auf der T150 zwischen LIMPI und Cola VOR in 5.000 ft im Eis zu fliegen. In beinahe jedem anderen Land in Europa könnte man in einem solchen Fall den IFR-Flug im unkontrollierten Luftraum darunter fortsetzen – nur in Deutschland ist der Pilot gezwungen, sinnlos im Eis herumzustochern oder eine Emergency zu erklären.
Man sieht, SERA hin oder her, es kommt darauf an, was die einzelnen Staaten daraus machen. Es könnte besser werden, wenn man Joining-Clearances nach internationalem Standard implementiert, es könnte alles beim Alten bleiben, wenn die DFS bei MRVA blockt, es könnte aber auch sogar noch schlimmer kommen, denn nach SERA hat der Luftraum Golf unter 1.000 ft AGL Sichtflugmindestbedingungen von 5 km. Die bisherigen 1,5 km sind nur als nationale Ausnahme zulässig. Wenn Deutschland also bei der MRVA blockt und von der 1,5 km Ausnahme keinen Gebrauch macht, dann wird die bisherige Lügerei noch absurder und schwieriger zu vertreten.
Wir können also nur an DFS und BMVBS appellieren, hier das Richtige und das Sichere zu tun und Freigaben aus dem kontrollierten Luftraum heraus und in den kontrollierten Luftraum hinein gemäß internationaler Standards zuzulassen.
Der hierzulande so beliebte Luftraum F ist nach den Vorgaben von SERA nur eine temporäre Lösung. In Deutschland wird es voraussichtlich dort, wo bisher für IFR-An- und Abflugverfahren Luftraum F eingerichtet war, einen auf 1.000 oder 700 ft AGL heruntergezogenen Luftraum E mit einer darunter nach englischem Vorbild eingerichteten Radio Mandatory Zone (RMZ) geben, in der man Funkkontakt zur lokalen Infostelle halten muss. Das ist international üblich und aus unserer Sicht nicht zu beanstanden.
2) VFR-Mindesthöhen
Betrachtet man die Vorgaben von SERA, so halten sich diese bei den VFR-Mindesthöhen weitgehend an ICAO-Standards. Bei Tag:
Except when necessary for take-off or landing, or except by permission from the competent authority, a VFR flight shall not be flown:
(1) over the congested areas of cities, towns or settlements or over an open-air assembly of persons at a height less than 300 m (1 000 ft) above the highest obstacle within a radius of 600 m from the aircraft;
(2) elsewhere than as specified in (1), at a height less than 150 m (500 ft) above the ground or water, or 150 m (500 ft) above the highest obstacle within a radius of 150 m (500 ft) from the aircraft.
Und bei VFR-Nacht:
(i) over high terrain or in mountainous areas, at a level which is at least 600 m (2 000 ft) above the highest obstacle located within 8 km of the estimated position of the aircraft;
(ii) elsewhere than as specified in i), at a level which is at least 300 m (1 000 ft) above the highest obstacle located within 8 km of the estimated position of the aircraft.
(Übrigens genau gleich der festgelegten IFR-Mindesthöhe.)
In Deutschland wird es aber wohl bei der 2.000 ft Mindesthöhe für Überlandflüge bleiben, obwohl SERA hier eigentlich keine Gestaltungsspielräume gewährt. Auf welcher Grundlage dies dann passieren soll, ist uns jedenfalls nicht klar.
3) Flugplanpflicht
Hier besteht zumindest das Potenzial für eine deutliche Verschlechterung. Unter „SERA.4001 Submission of a flight plan“ liest man zur Flugplanpflicht:
A flight plan shall be submitted prior to operating:
(1) any flight or portion thereof to be provided with air traffic control service;
(2) any IFR flight within advisory airspace;
(3) any flight within or into areas, or along routes designated by the competent authority, to facilitate the provision of flight information, alerting and search and rescue services;
(4) any flight within or into areas or along routes designated by the competent authority, to facilitate coordination with appropriate military units or with air traffic services units in adjacent States in order to avoid the possible need for interception for the purpose of identification;
(5) any flight across international borders, unless otherwise prescribed by the States concerned;
(6) any flight planned to operate at night, if leaving the vicinity of an aerodrome.
Kritisch ist hier der Punkt 1. Wenn man für jeden Flug, für den man ATC in Anspruch nimmt, einen Flugplan aufgeben muss, kann das schlimmstenfalls zu österreichischen Verhältnissen führen, wo man ohne 60 Minuten vorher aufgegebenen Flugplan nicht mal aus der mausetoten Linz-CTR ausfliegen darf (wobei das in der Praxis dann oft unbürokratisch im Funk geregelt wird).
Hier kommt alles auf die Auslegung und auf die Praxis an. Denn ein Flugplan muss nach SERA nicht heißen, dass man 60 Minuten vorher bei AIS anruft oder ein Fax schickt. Ein Flugplan (übrigens auch IFR!) kann nach SERA eindeutig auch über Funk und in der Luft aufgegeben werden. Der hier festgelegten Flugplanpflicht kann also auch nach englischem Vorbild durch ein einfaches Booking-out und Booking-in entsprochen werden, also im Prinzip nicht mehr als ein Initial-Call im Funk mit ein paar zusätzlichen Angaben. Man muss sich dann nur im Klaren sein, dass man eben mit Flugplan fliegt und diesen auch wieder schließen.
Problematisch ist hier jedoch der Absatz (d) von SERA.4001:
A flight plan for any flight planned to operate across international borders or to be provided with air traffic control service or air traffic advisory service shall be submitted at least sixty minutes before departure, or, if submitted during flight, at a time which will ensure its receipt by the appropriate air traffic services unit at least ten minutes before the aircraft is estimated to reach:
(1) the intended point of entry into a control area or advisory area; or
(2) the point of crossing an airway or advisory route.
Das kann im Extremfall bedeuten, dass man bei IFR-Flugplänen, die am Boden über AIS, RocketRoute oder ähnliche Dienste aufgegeben werden, tatsächlich 60 Minuten im Voraus filen muss oder bei verkürzten Flugplänen im Funk, z.B. zum Ein-, Aus- oder Durchflug einer CTR, zehn Minuten warten muss, oder sich anderweitig eine Ordnungswidrigkeit einhandelt. Dies sollte dringend von einer Muss- zu einer Soll-Vorschrift geändert werden, da die Zeitvorgaben sonst heftig mit der Praxis kollidieren. Piloten und Scheduler machen sich sonst durch das reine Aufgeben eines Flugplans 40 Minuten vor dem Abflug einer Verletzung der Vorschriften schuldig.
4) Nacht VFR
Nacht VFR wird unter SERA interessanterweise zur Ausnahme, die von der nationalen Behörde explizit genehmigt werden muss (SERA.5005 (c)):
When so prescribed by the competent authority, VFR flights at night may be permitted under the following conditions [...]
Es folgen dann zusätzlich zu den Nacht-VMC-Bedingungen ein paar Auflagen, wie z.B.:
- Flugplanpflicht für Überlandflüge,
- Two-Way Radio Communication, wenn möglich,
- Ceiling von mindestens 1.500 ft,
- Erdsicht, wenn im kontrollierten Luftraum unter 3.000 ft MSL bzw. 1.000 ft AGL geflogen wird.
Deutschland muss hier aufpassen, solange VFR-Nachtflug bei uns nicht explizit erlaubt wird, wäre damit am 4. Dezember 2014 Schluss.
Fazit
Es gibt noch eine Vielzahl weiterer kleinerer Änderungen z.B. bei den Halbkreisflugregeln, über die wir unsere Leser vor In-Kraft-treten von SERA noch im Detail informieren werden. Wir haben uns hier nur auf die wichtigsten Punkte konzentriert, in denen Deutschland erhebliche Spielräume hat oder Ausnahmen beabsichtigt.
Dort, wo LuftVO und SERA kollidieren, muss in jedem Fall rechtzeitig geklärt werden, was gilt. Sonst hängen die Piloten (mal wieder) zwischen allen Stühlen!