20. Juni 2006 Jan Brill
Luftrecht: Schadenersatz bei fehlerhafter EU-Umsetzung
Schadenersatz bei nicht umgesetzer EU-Richtlinie
In der Tagespresse war es kaum zu vernehmen, aber unter Rechtssache C-173/03 fällte der Europäische Gerichtshof am 13. Juni ein bedeutsames Urteil.
Bürger der EU haben Anspruch auf Schadenersatz von ihrem Staat, wenn sie durch die Nichtumsetzung oder fehlerhafte Umsetzung einer EU-Richtlinie geschädigt werden.
Der EuGH schreibt:
DER GERICHTSHOF BESTÄTIGT, DASS EIN MITGLIEDSTAAT FÜR SCHÄDEN HAFTET, DIE DEM EINZELNEN DURCH EINEM OBERSTEN GERICHT ZUZURECHNENDE OFFENKUNDIGE VERSTÖSSE GEGEN DAS GEMEINSCHAFTSRECHT ENTSTANDEN SIND.
[...] Die Mitgliedstaaten haften auch dann, wenn sich der offenkundige Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht aus einer Auslegung von Rechtsvorschriften oder einer Sachverhalts- und Beweiswürdigung ergibt.
Beispiele aus der Fliegerei fallen einem hier gleich Duzendweise ein. Wie wärs etwa mit einer der unzähligen Fehlübersertungen aus JAR-FCL 3 oder die ungleich strengere und fachfremde Auslegung dieser Vorschriften durch den LBA-Doktor Kirklies? Der vom EuGH entschiedene Fall stammt aus der Seeschiffahrt. Ein Unternehmen sah sich durch die vorschriftenwidrige Subventionierung eines anderen Unternehmens benachteiligt.
Die betroffene Rederei klagte gegen den italienischen Staat verlor vor sämtlichen italienischen Gerichten und gewann vor dem EuGH.
Auch bei laxer oder zu strenger Auslegung solcher EU-Vorschriften, haftet also der Staat, so die EuGH-Richter:
Die Auslegung von Rechtsvorschriften sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung stellen wesentliche Aspekte der Rechtsprechungstätigkeit dar; beide können in bestimmten Fällen zu einem offenkundigen Verstoß gegen das geltende Recht führen.
Es ist durchaus vorstellbar, dass mit dieser Entscheidung endlich ein wirksamer Hebel gegeben ist, gegen den deutschen Brauch des Draufsattelns bei EU-Vorschriften vorzugehen. Schließlich stellt die strengere Auslegung und teils offenkundig falsche Anwendung und Übersetzung beispielsweise der JAR-FCL-Kriterien eine offenkundige Benachteiligung deutscher Piloten und Flugzeugbetreiber in der EU da.
Wichtiger noch wird dieser Grundatz angesichts der wachsenden Rolle der EASA in Zulassung und Nachprüfung von Luftfahrtgerät.
Denn auch die EASA deligiert den Großteil ihrer Aufgaben ja an die nationalen Component-Authorities (das LBA zum Beispiel), mit dem man sich im Streitfall auch nur vor nationalen Gerichten auseinandersetzen kann. Wie etwa ist es im Lichte dieser Entscheidung zu beurteilen, dass der Halter eines deutschen Luftfahrzeuges in Spanien zwar sämtliche Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen inklusive der 100-Stundenkontrolle bei jedwedem JAA-/EASA-Betrieb in Europa durchführen lassen kann, jedoch für den geeiligten Stempel der Jahresnachprüfung sein Flugzeug nach Deutschland bringen muss?
Im Einklang mit den Vorschriften der EASA steht das sicher nicht.
Was ist mit gewerblichen Flugbetrieben, denen seitens des LBA Auflagen gemacht werden, die sich nirgendwo in den Regelwerken der JAR OPS 1 oder 3 finden?
Wo beispielsweise steht, dass für eine gewerblich geflogene 172er oder einen R22 eine MEL (Minimum Equippment List) vorliegen muss, wenn diese vom Hersteller nicht zur Verfügung gestellt wird?
Wo steht, dass Flugzeuge nicht gleichzeitig in einer FTO und einem gewerblichen Flugbetrieb eingesetzt werden können?
All dies sind rein deutsche Extrawürste mit denen die Aufsicht führende Behörde, das LBA nämlich, die in Deutschland ansässigen Betriebe massiv benachteiligt.
Der EuGH:
Ob ein offenkundiger Verstoß vorliegt, bemisst sich insbesondere nach einer Reihe von Kriterien wie dem Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, der Entschuldbarkeit des unterlaufenen Rechtsirrtums oder der Verletzung der Vorlagepflicht durch das in Rede stehende Gericht. Ein solcher Verstoß wird jedenfalls angenommen, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes offenkundig verkennt.
Niemand kann behaupten, die zuständigen deutschen Behörden seien durch dieses Magazin und andere Stellen nicht auf die offenkundigen Auslegungdifferenzen in diesen Fällen hingewiesen worden.
Vielleicht finden sich ja nun doch findige Anwälte, die mit Hilfe dieser Entscheidung dem der Draufsattelei bei den JAR-Vorschriften Einhalt gebieten.
Denn wenns ums Geld und um Schadenersatz geht das haben wir oft genug gesehen dann hört auch das LBA aufmerksam zu.
Vielleicht wird man nun vorsichtiger in Braunschweig: Denn umfangreiche Schadenersatzforderungen die aus dem eigenen Haus herrühren sind kein Aushängeschild für einen Behördenleiter, der ja auch irgendwann einmal Staatssekretär werden möchte.