1. November 2010 Jan Brill
Behörden: LBA und JAR Takeoff Minima
Dicke Waatschn vom Gericht
In Pilot und Flugzeug Ausgabe 2010/08 und im Internet berichteten wir unter der Überschrift Steigflugversuche in Braunschweig über die gelinde gesagt etwas unflexible Umsetzung einer JAR-Richtlinie durch das LBA, welches im Begriff war, den Großteil der im gewerblichen Verkehr eingesetzten Kolben- und Turbinen-Zweimots in Deutschland zu VFR-Fliegern zu machen.
Nun wandte sich das Gericht an das Amt und teilte das aus, was man in Österreich als eine ordentliche Waatschn bezeichnet.
Das Problem dabei war, dass sich das LBA auf den Standpunkt stellte, was nicht im Handbuch steht, gibt es auch nicht, auch wenn fliegerische und betriebliche Erfahrung, die Naturgesetze und so ziemlich jeder Sachverständige, den man finden kann, zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommen.
Es geht um die Anlage 1 zu JAR-OPS 1.430. In Tabelle 2 dieser Anlage wird geregelt, welche Pistensichtweiten mindestens zu veranschlagen sind für mehrmotorige Flugzeuge, die einen Start beim Ausfall eines Triebwerks nicht in jeder Konfiguration fortsetzen können.
Bedeutet: Solange Fahrwerk und Klappen noch nicht eingefahren sind, kann z.B. eine Seneca im Einmotorenflug nicht steigen. Bei einem Ausfall vielleicht 5 Meter über der Landebahn müsste selbstverständlich wieder gelandet werden, das ist jedem Twin-Piloten klar. Dass man dazu etwas Sicht braucht, kann auch niemanden überraschen, und so ist diese Vorschrift eigentlich eine recht harmlose Umsetzung fliegerischen Menschenverstandes in eine Rechtsnorm.
Jedenfalls solange, bis sich das LBA mit der Auslegung derselben befasste. Denn nur für die wenigsten Flugzeuge, deren Flugleistungen nach Part 23 berechnet sind, ist eine solche Höhe im Handbuch veröffentlicht. Der Nachweis war in den 1970er- und 1980er-Jahren, als Cessna 414, Cheyenne, King Air oder Aerostar zum Verkehr zugelassen wurden, einfach nicht gefordert.
Mangels Handbuchangabe hierzu stellt sich das LBA jedoch auf den Standpunkt, dass diese Flugzeuge überhaupt nicht in der Lage wären, den Start oder Flug mit einem Motor fortzusetzen, und wendet daher die höchsten zu veranschlagenden Minima an, nämlich de facto Sonder-VFR (1.500 ft RVR).
Ein Flugunternehmer aus Norddeutschland, der seine Flotte von teuren Zweimots im gewerblichen Einsatz nicht zu VFR-Fliegern degradiert sehen wollte, klagte. Es geht dabei einzig und allein darum, auch andere als die Handbuchbeweise für die Erfüllung des JAR-OPS 1.430 zuzulassen. Der Kläger legte dazu umfangreiche Beweisangebote vor. Praktisches Vorfliegen, das Gutachten eines Flugingenieurs und diverse andere Vorschläge wurden seitens des LBA immerwieder mit dem Hinweis quittiert: Geht nicht, gibts nicht, steht nicht im Handbuch!
Das wurde nun offenbar auch dem vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Braunschweig zu doof. Er schrieb einen Brief an die Prozessbeteiligten, wie wir ihn in dieser Schärfe noch nicht zu lesen bekommen hatten:Die Beklagte [das LBA] verhält sich wenig konstruktiv. Es mag sein, dass bei enger Auslegung der in Rede stehenden Normen ohne entsprechende Nachweise eine kürzere Pistensichtweite nicht akzeptiert werden kann und dass die Klägerin insoweit verpflichtet ist, die notwendigen Nachweise beizubringen.
Sie hat jedoch zum einen bereits ein Gutachten vorgelegt und zum anderen verschiedene andere Formen des Nachweises angeboten. Darauf ist das Luftfahrt-Bundesamt nicht konstruktiv eingegangen, sondern hat lediglich eine Blockladehaltung an den Tag gelegt und mitgeteilt, was ihm nicht genügt.
Ich bitte daher bis zum 10.11.2010 um Mitteilung, welche Nachweise in welcher Form Sie von der Klägerin erwarten. Diese bitte ich so konkret zu fassen, dass sie zum Gegenstand eines Beweisbeschlusses gemacht werden können.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig war bislang nicht gerade dafür bekannt, übermäßig streng mit der Behörde umzuspringen. Manche würden sogar das Gegenteil für zutreffend halten. Eine solche Waatschn von dieser Stelle sollte dem LBA zu denken geben, ob hier nicht kurz das Fenster geöffnet und frische Luft eingelassen werden sollte.
Wir werden unsere Leser selbstverständlich über den weiteren Fortgang dieses Verfahrens informieren.
Ein Geschmäckle hat diese Sache auch deshalb, da diese Norm vom LBA selbst höchst unterschiedlich angewand wird. Es gibt zahlreiche Flugbetriebe, die vergleichbare Flugzeuge nutzen, und die nicht zu VFR-Fliegern herabgestuft wurden. Und es gibt andere, wie den Kläger, die kurz nach einer Auseinandersetzung mit dem LBA in anderer Sache von dieser Keule getroffen wurden ...